«Ich bringe Dich um …» – «Du Vollidiot …» – Wenn ich solche Sätze innerlich oder äusserlich sage, mache ich deutlich: Das «Du» stört. Da ist ein Mensch, der in meine Lebenswelt tritt und den ich wieder hinausbugsieren will. Die einfache Logik dahinter: Das «Du» raubt mir meine Freiheit – deshalb muss es weg.
Ist nicht die Freiheit das, was den Menschen als Menschen auszeichnet? Wäre es also nicht Aufgabe des Menschen, sich diese Freiheit zu nehmen und zu bewahren? Und würde der höchste Akt der Freiheit dann nicht darin bestehen, einen störenden Mitmenschen zu ermorden? Raskolnikow, die Hauptfigur in Dostojewskis Roman «Schuld und Sühne», steigert sich in solche Gedanken hinein und setzt sie in die Tat um: Er bringt die alte Pfandleiherin und deren zufällig anwesende Schwester um. Doch statt durch die Tat ein freier Mensch zu werden, wird er ein Gefangener seiner selbst. Der Doppelmord verfolgt ihn, macht ihn krank und gesellschaftsunfähig. Getrieben von Gewissensbissen und auf Anraten der Christin Sonja stellt sich Raskolnikow schliesslich und wird zu jahrelanger Zwangsarbeit verurteilt. Die Liebe, die er dort zu Sonja entwickelt, verändert ihn, führt zur Reue und zur inneren Befreiung.
Die vermeintlich elegante Lösung, sich die Freiheit durch Mord zu sichern, entpuppt sich als Bumerang. Das Mordverbot in den 10 Geboten «Du sollst nicht töten» (2. Mose 20,13) lässt sich gut in diesem Zusammenhang verstehen. Die Entfernung des ungeliebten Mitmenschen führt nicht zu einer besseren, sondern zu einer schlechteren Welt. Noch deutlicher wird das in der Zuspitzung des 6. Gebots durch Jesus Christus: «Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst nicht töten! Wer aber tötet, der sei dem Gericht übergeben. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, sei dem Gericht übergeben. Und wer zu seinem Bruder sagt: Du Trottel, der sei dem Hohen Rat übergeben. Und wer sagt: Du Narr, der sei der Feuerhölle übergeben.» (Matthäus 5,21–22). Böse Gedanken – das ist der erste Schritt, um einen Mitmenschen aus dem eigenen Lebenskreis hinauszudrängen. Der Mord ist der letzte Schritt. Beide Schritte – und alle möglichen Zwischenschritte – machen nicht frei, sondern gefangen. Es ist eine verhängnisvolle Illusion zu meinen, man könne freier leben, wenn man ungeborene Kinder und altersschwache Senioren beseitigt. Daran gehen Menschen und ganze Gesellschaften zugrunde. Es ist kein Freiheitsgewinn, wenn ich meinen Nachbarn aus dem Weg gehe und unangenehme Arbeitskollegen mobbe. Das zerstört die menschliche Gemeinschaft.
Jeder Mensch ist unabhängig von Alter und Leistungsfähigkeit von Gott geliebt und gewollt. Die Freiheit des Menschen gründet in diesem unbedingten Ja Gottes zum Leben und in der unbedingten Würde des Menschen als Gottes Geschöpf. Die wahre Freiheit finde ich daher nicht, indem ich den Mitmenschen aus meinem Leben dränge, sondern indem ich ihn liebe, mich von ihm stören lasse, ihn annehme, mich mit ihm versöhne, ihm freundlich begegne. Nicht der Mord macht frei, sondern die Liebe.
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