Von Andrea Jenzer
Olympia und Paralympics – das Fest der Spiele. Diese Anlässe bewegen und bestechen durch ihre Emotionalität und Präsenz. Das Motto «schneller, höher, weiter» hat die olympische Sportgeschichte treu begleitet. Noch heute gilt dieser Slogan unter Sportlern – nicht nur an den olympischen Spielen. Die eigenen Bestleistungen wie auch die Weltrekorde und Gegner gilt es herauszufordern, zu übertrumpfen und als wahrer Champion in die Sportgeschichte einzugehen.
Seit jeher ist deshalb Olympia, ob Sommer oder Winter, das grosse Ziel oder der grösste Traum für Sportler. Die Ehre, sein Land zu vertreten, als Beste der Welt in der eigenen Sportart zu starten und gar zu brillieren, begeistert Athleten als auch Zuschauer. Freude, Glück, Stolz, aber auch Enttäuschung, Wut und Trauer prägen die Spiele. Genau das fasziniert und zieht uns Menschen an!
Leistungsprinzip und der Sieg an Olympia
Diese Faszination ist Ausdruck davon, dass Menschen motiviert sind, Höchstleistungen zu zeigen. Schon immer wollten Menschen sich als kompetent, autonom und zugehörig fühlen, durch die eigenen erbrachten Leistungen Anerkennung und Zuwendung erhalten. Jede und Jeder will ein Sieger sein und sich danach fühlen. Im Sport als einem Lebensbereich können diese Motive und Bedürfnisse gestillt werden. Das sportliche Handeln wird vom Leistungsprinzip gesteuert, damit Siege möglich werden: eine Top-Leistung erzielen zu wollen und dabei noch andere zu schlagen. Das ermöglicht Sportlern, ständig ihre Leistungsgrenzen auszuweiten und eben weiter, schneller und höher zu springen, zu werfen, zu fahren etc. Dies unabhängig davon ob behindert oder nicht. Faszinierend! Um am Ende an den olympischen Spielen erfolgreich zu sein, braucht es viele Faktoren, die optimal zusammenspielen müssen. Einerseits sind hier das Talent und die Fertigkeiten massgebend. Einen weiteren Aspekt hat Mika Häkkinen einmal vortrefflich gesagt: «Du gewinnst nie allein (…).» Eine Sportkarriere ist immer auch systemisch zu betrachten. Eltern, Freunde, Beruf, Trainingsmöglichkeiten und -orte, Trainer und Trainingskollegen müssen ideal mit dem Spitzensportler abgestimmt werden. Häufig sprechen Top-Athleten auch davon, dass sie jeweils mehr investiert haben als ihre Trainingskollegen, um schneller ein Experten-Niveau zu er reichen. Mit höherem Leistungsniveau steigt auch die Wichtigkeit psychologischer Aspekte. Die mentale Stärke und der Biss, gerade auch in schwierigen Momenten, zeichnen Spitzensportler aus. Ein Beispiel hierfür ist Dominique Gysin, ehemalige alpine Skirennfahrerin der Schweiz. Trotz vieler Verletzungen hat sie den Weg zurück hart erarbeitet und erkämpft. Sie wurde hierfür mit dem grössten Sieg eines Sportlers belohnt: der Olympia-Goldmedaille in der Abfahrt 2014. Die Olympia-Qualifikation und der Gewinn des «Gold-Plämpus» sind der Verdienst von jahrelangem intensivem Engagement und dem optimalen Zusammenspiel von verschiedenen Bedingungen. Eindrücklich – dies steigert den Wert der Gold-Medaille erheblich. Siegerin oder Sieger ist, wer zuoberst auf dem Treppchen steht. Ein Moment des Stolzes und der Genugtuung – Erfolg und Emotionen pur!
Verlierer und das Aufgabenprinzip
Spinnen wir diese Definition Siegen = 1. Rang weiter, wären folglich alle anderen Athleten Verlierer. Nehmen wir hinzu, dass sich jeder als Sieger fühlen möchte, treffen wir auf ein Spannungsfeld. Dies führt häufig dazu, dass Sportler sich nicht zufriedengeben können und sich als inkompetent erleben. Vor lauter Siegeswillen geht vergessen, dass noch andere Faktoren eine Rolle für den Triumph spielen, die nicht beeinflussbar sind und ausserhalb der eigenen Kontrollmöglichkeiten liegen. Die Leistungen des Gegners, ob das Material am Tag X hält, ob das Wetter mitspielt … Siege können nicht vollständig kontrolliert und erzwungen werden. Der Fokus liegt somit auf den beeinflussbaren Möglichkeiten, den zielgerichteten Handlungen und dem hundertprozentigen Einsatz. Darin kann der Athlet das Beste herausholen und so die Chancen auf Erfolg erhöhen. Das entlastet enorm und ermöglicht eine differenzierte Leistungsorientierung.
Es kommt hinzu, dass sportliche Erfolge vergänglich sind. Wer mag sich noch an den Olympia-Sieger im Rudern von 2008 in Peking erinnern? Ich auf jeden Fall nicht. Haben Athleten nicht eine konstant hohe Siegesserie wie ein Roger Federer, geraten sie schnell in Vergessenheit. Es erstaunt denn auch nicht, wenn die grosse, manchmal gar auch existentielle Leere nach dem Sieg oder der Karriere kommt. Das Streben nach dem Sieg kann die persönliche Identität bestimmen: «Ich bin, wer ich bin aufgrund meiner Leistungen», und dies bedingt die emotionale Befindlichkeit. Das kann zu Leistungsdruck/-angst, Verkrampfung und gar auch zu Karriereabbrüchen führen.
Der erste Rang als alleiniges Kriterium für Siegen greift also zu kurz. Zu erfahren und zu erkennen, dass persönliche Fortschritte, die Erreichung von Teilzielen, die optimale und fokussierte Handlungsumsetzung auf dem Weg an die Spitze ebenfalls persönliche Siege sind, ist eine Grundvoraussetzung. Dadurch wird das Kompetenz- und Autonomie-Gefühl, selber eine Leistung zu erbringen, gestillt und erlebt. Sportler sind zufrieden: «Ich bin ok, so wie ich heute bin», weil sie mit ihren persönlichen Möglichkeiten alles herausgeholt haben. Das stärkt das Selbstvertrauen und die Motivation dran zu bleiben. Im Wissen darum, sich noch weiterentwickeln zu können und zu wollen. Die aktuell beste 800m-Läuferin der Schweiz, Selina Büchel, hat dies im Interview gegenüber SRF (2. 6. 2016) treffend formuliert: «Es ist mir wichtig, dass ich auch zufrieden bin und Freude haben kann am Erreichten.» Nackte Resultate greifen zur Erklärung von Siegen also zu kurz. Auch kleine persönliche Fortschritte und die optimale Umsetzung am Tag X sind Siege und zählen im Leben.
Das Liebesprinzip und der grösste Sieg
Das Leistungs- und Aufgabenprinzip ergänzen einander und sind notwendig, um im Sport das Bestmögliche, ja gar den Sieg, zu erreichen. Das erfüllt uns. Beide Aspekte sind jedoch vergänglich und schwankend. Gibt es etwas Stetiges, auf das wir abstützen können?
Die Bibel spricht von einem lebendigen Gott, der auch Einfluss nimmt und will, dass ein Leben gelingt. Offenbar war es gemäss der Bibel nie Gottes Absicht, dass der Mensch sein Leben unabhängig von ihm gestalten und seine Siege alleine erreichen soll. Vielmehr geht es da um eine wechselseitige, enge Beziehung aus Liebe zu Gott, in der der Mensch im Vertrauen zu Gott lebt und damit beide ihren Teil zum Gelingen beitragen (vgl. die Bibel im Römerbrief 8,28). Das entlastet, ermutigt und gibt dem Sport und dem Leben eine neue Dimension.
Unsere Identität finden wir denn auch in Gott und Jesus Christus. Denn hier herrscht das Liebesprinzip. Siege sind vergänglich und verblassen. Was ewig bleibt, ist die Liebe Gottes. Angenommen zu sein, egal was ich tue oder auch nicht, weil er uns mit all unseren Facetten so gewollt und geschaffen hat. Das gibt eine langfristige tiefgründige Basis und Bedürfnisbefriedigung. Resultate und Fortschritte sind nach wie vor wichtig, aber die eigene Identität ist nicht mehr davon abhängig. Das Engagement und die Zielerreichung erfolgen als Ausdruck seiner Liebe. Aus Gottes Sicht ist jede/r ein Sieger, der mit ihm unterwegs und in seinem Team ist (vgl. die Bibel im Brief von Johannes 5,4b). Das ist der grösste Sieg – beständig und ewig.