Grossartig, wenn wir es wagen, etwas Neues mit unserem Leben, in unserem Leben und durch unser Leben zu starten. Genauso schön ist es, wenn unser Mut belohnt wird, und wir nicht nur anfangen, sondern auch an ein gutes Ende kommen. Vor nicht allzu langer Zeit aber habe ich eine noch tiefere Dimension des Lebens entdeckt. Sie wurde mir zugespielt durch den Pianisten Igor Levit. In einem Interview mit der Wochenzeitschrift «Die Zeit» wurde er am 19. Mai 2016 gefragt: «Können Sie den ersten Satz der Mondscheinsonate noch hören?» Hier Levits Antwort:
«Ja. Ich habe die Sonate erst kürzlich gespielt. Je häufiger ich eine Sonate spiele, je mehr ich damit arbeite, desto weniger verstehe ich sie, desto mehr entfernt sie sich von mir, desto glücklicher werde ich damit, und desto öfter will ich sie spielen. Die Sonate Nr. 14 op. 27/2 – der Name «Mondschein» ist ja nicht von Beethoven – wird einfach immer besonderer. Ich möchte nie sagen: Das habe ich verstanden, das Nächste, bitte. Das Ziel ist: Ich möchte immer wieder am Anfang ankommen.»
Wie schön! Das Glück meines Lebens liegt gar nicht darin, mit allem, was ich neu angefangen habe, ans Ende zu kommen. Können Sie sich vorstellen, mit einem geliebten Menschen jemals fertig zu sein? Das wäre ziemlich öde und lieblos. Wie stumpf und langweilig, wenn ein geschätztes Stück Welt mich weder reizen noch erstaunen könnte: der oft gelaufene Alpenpfad, das langjährige Hobby, die mich umgebende Kunst, das Lieblingsessen!
Ich trage eine tiefe Sehnsucht in mir, immer wieder am Anfang anzukommen. Und ich halte die Wette: Diese Sehnsucht hat sich vom göttlichen Anfänger auf mich übertragen. Denn immer und immer wieder kommt Gott durch seinen Geist bei uns an und fängt was Neues an. Und sei es, dass er als Mensch auf die Welt kommt, um uns zu einem neuen Menschsein zu befreien. Für mich ein deutliches Zeichen dafür, dass er mit seiner Schöpfung niemals fertig sein will. Bis in alle Ewigkeit wird Gott immer etwas anzufangen wissen mit uns. Die kreativen Ideen werden ihm nicht ausgehen. Er ist und er bleibt ein Anfänger, und gerade das wäre wohl die himmlische Vollendung. Auch der Himmel ist alles, ausser langweilig.