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Vom JA-Menschen und gesunder Identität

Ein kurzer Abstecher in das JA-Land
Publiziert: 20.09.2021

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Von Markus Müller

JA-Mensch sein, JA-Mensch werden, das JA-Land erobern! Möglicherweise schütteln Sie den Kopf und denken: «JA sagen zu der gegenwärtigen Wirklichkeit? NEIN danke, ohne mich.» Ich lade Sie trotz aller Skepsis zu einem kurzen Abstecher in das JA-Land ein.

Wer kennt es nicht: Krankheiten, die nicht weichen wollen, verborgenes oder offenes Leiden an mir und anderen, niederschmetternde Schicksalsschläge, unerwartetes Scheitern, übermässige Verletzlichkeit, abnehmende, statt zunehmende Fähigkeiten? Als wäre dies nicht genug, nagen im Hinterkopf längst Fragen wie «Wer bin ich? Wer bin ich noch? Bin ich überhaupt noch jemand?» Angefochtene Identität könnte man es nennen. Unser Abstecher ins JA-Land enthält vier Reiseabschnitte:

Leben ohne Appell
Wir kennen die ausgesprochenen und nicht ausgesprochenen Appelle: «Da musst Du durch!», «Was Dich nicht umbringt, macht Dich stark!», «Kopf hoch!», «Beiss auf die Zähne!» Daneben hören wir die zahllosen Tricks und Kniffe nach dem Motto: «Wenn Du es gut machst, passiert ein Wunder!» Gedacht wird an Ernährungsweisen, an Lebensstilfragen, an bestgemeinte Regeln für Seele und Geist. Mein persönliches Vorrecht besteht darin, Menschen im Alter von 70, 80, 90 oder 100 Jahren begleiten zu dürfen. Ich sehe, was sich in deren Leben bewährt hat, worauf sie gerne zurückschauen und wonach sie sich am Ende sehnen. Unter dem Strich ist es ganz einfach, sie sagten: «Nichts war so schön, wie jene Momente, in denen mir ein schlichtes JA entgegengebracht worden ist, und nichts erhoffe ich mir sehnlicher, als beJAht zu werden – sowie ich bin. Bedingungslos und ohne Appell.»

Das ungeteilte, ganze JA Gottes
Haben Sie schon mal vertieft über Gott nachgedacht, zum Beispiel über die Frage, wieso Gott es trotz unseren Eigenartigkeiten, trotz unseren Schieflagen, trotz unserer Selbstbezogenheit, trotz unserer Sündhaftigkeit Weihnachten werden liess? Könnte es sein, dass er einfach an seinem hartnäckigen, unaufgebbaren JA zu uns Menschen festhielt? Zuerst und zuletzt einfach am JA zu Dir und zu mir?

An was für einen Gott dürfen wir glauben? Gott hat ein uneingeschränktes, ungeteiltes, vorbehaltloses, ganzes JA zu uns eigenartigen, manchmal befremdenden Menschen. Wir spüren es in den zahllosen Erzählungen im Alten und Neuen Testament. Gottes JA ist derart gross, dass er uns den Freiraum gibt, NEIN zu ihm zu sagen. Nicht einmal seine Ewigkeit drängt er uns auf. Er hält unser NEIN aus, auch wenn er es bedauert und die Konsequenzen sieht. Gott sagt JA. Er sagt JA zu uns, und er sagt JA zu unseren Entscheidungen. Mehr noch: Wir sind eingeladen, als Menschen in dieses grosse JA Gottes einzustimmen, in das JA zu ihm, in das JA zu uns selbst, in das JA zu den Umständen, in das JA zu den anderen, in das JA zu unserer Vergangenheit und Zukunft, in das JA zu aller Gebrochenheit von mir, anderen und dieser Welt. Weil Gott ein JA-Gott ist, dürfen wir zu JA-Menschen werden.

Vom Drama des NEIN
Das NEIN sitzt tief in unseren Knochen. Das NEIN lag schon für Adam und Eva nahe – mit fatalen Konsequenzen. In uns liegt ein «Instinkt der Negativität», wie der Arzt und Bestsellerautor Hans Rosling es im Buch «Factfulness» nennt. Die vergangenen 500 Jahre, speziell die letzten 75 Jahre, haben uns zum NEIN gegenüber der Wirklichkeit angeleitet und erzogen. Besser, schneller, höher, schöner muss es sein. Krank und behindert ist, wer nichts optimieren will.

Die gute Nachricht darin ist: Der JA-Gott ist auch Arzt, wie er selbst sagt. (1) In seinem JA, seiner Liebe und seiner Barmherzigkeit kann er, und zwar entgegen aller Gesetzmässigkeiten, diese Schöpfung mit und ohne unserem Beitrag heilen. Als fachkundiger Arzt traut er uns aber auch zu, mit Notvollem, Schwerem, Leid, mit Schwäche und Verletzlichkeit mündig umzugehen. Es scheint, dass Gott zuallererst unsere kranke und behinderte Überzeugung, dass alles anders sein sollte, heilen möchte. Nur so ist zu erklären, dass Paulus plötzlich frei von Bitterkeit den Satz von Gott zitiert: «Lass dir an meiner Gnade – meinem JA – genügen.» (2) Diesem grundlegenden JA folgen weitere Grundsätze zu Begrenztheit, Not und Unverständlichem: «Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie's mir auch geht.» (3) Oder: «Darum habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten – wenn ich schwach bin, bin ich stark.» (4) Oder: «Wenn ich mich rühme, dann meiner Schwachheit.» (5)

Die Perspektive: Ich bin jemand
Gott bewahrt nicht vor heiklen, tragischen und scheinbar unzumutbaren Situationen. Jesus kannte solches zur Genüge. Was tut Gott? Bevor Jesus in zwei der heikelsten Situationen seines Lebens gerät, vernimmt er zwei Mal die Stimme aus dem Himmel: «Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.» (6) BeJAht und geliebt. Es scheint, als wäre dies das Geheimnis unseres Lebens in aller Gebrochenheit, in allem Leid, in allem Notvollen und in allem Unverstandensein. «Du bist geliebt», sagt Gott. «Das bist Du, und das bleibst Du, was immer auch kommt.» Ob dies der entscheidende Weg zu gesunder Identität ist, und ob hier der Schlüssel ins unendlich befreiende JA-Land liegt? Ich glaube es. Hier findet sogar das gesunde NEIN seinen Parkplatz. Ob uns dies zu weiteren Erkundungen im JA-Land reizt? Ich mache Ihnen Mut dazu.

(1) «Ich bin der Herr, Dein Arzt», 2. Mose 15,26
(2) 2. Kor. 12,9
(3) Phil 4,11-12
(4) 2. Kor. 12,10
(5) 2. Kor. 11,30
(6) So vor der Versuchung in der Wüste und vor dem Gang nach Jerusalem und Golgatha

 

Zur Person

Dr. Markus Müller arbeitet seit 2012 als Heimpfarrer im Zentrum Rämismühle in der Nähe von Winterthur mit alten, sehr alten und sterbenden Menschen. Er liebt es, Menschen im Älterwerden zu ermutigen und hat zwei Bücher zum Thema geschrieben. initiative-pro-aging.ch

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