Die 60 Werte
Anstand, Achtsamkeit, Aufrichtigkeit, Authentizität, Bescheidenheit, Beständigkeit, Bildung, Dankbarkeit, Demut, Diskretion, Ehrlichkeit, Fleiss, Freiheit, Freundschaft, Frieden, Gelassenheit, Genuss, Gerechtigkeit, Grosszügigkeit, Harmonie, Individualität, Integrität, Heimatverbundenheit, Hilfsbereitschaft, Leidenschaft, Leistung, Liebe, Loyalität, Macht, Mut, Nachhaltigkeit, Nächstenliebe, Natur, Offenheit, Ordnung, Partnerschaft, Perfektion, Persönliches Wachstum, Privatsphäre, Reichtum, Respekt, Ruhe, Schönheit, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, Sicherheit, Solidarität, Sorgfalt, Spass, Spiritualität, Struktur, Toleranz, Tradition, Umweltschutz, Unabhängigkeit, Vertrauen, Wertschätzung, Würde, Zugehörigkeit, Zuverlässigkeit
von Verena Birchler
Kaum ein Tag vergeht, an dem in den Medien nicht in irgendeiner Form über die westlichen Werte geredet, geschrieben oder in einem Polittalk diskutiert wird. Meistens begleitet vom Aufruf, sich wieder an christlichen Werten zu orientieren.
Aber leider ist es mit den Werten gar nicht so einfach. In einer Umfrage wollte ich erfahren, welche drei Werte denn für das eigene Leben bestimmend sind. Mehr durften die Befragten nicht hinschreiben. Selbstverständlich haben sich nicht alle daran gehalten. Aber egal, jedenfalls kamen ganz viele Werte zusammen: Genaugenommen 61. Die Hitliste wurde angeführt von Liebe, Vertrauen und Dankbarkeit. Bei genauerer Betrachtung keine einfachen Werte.
Selbstverständlich wurde auch die «biblische Werte-Trilogie» Glaube, Liebe, Hoffnung genannt. Sind das eigentlich Werte? Oder doch eher Auswirkungen des bereits erwähnten Vertrauens? Sie spüren, wenn es um Werte geht, kann es durchaus philosophisch werden. Vielleicht hilft der einfache Test, ob wir den philosophischen Wert auch im Leben nachvollziehen können.
Der Glaube – glaubwurdig leben.
Liebe – liebevoll leben.
Hoffnung – visionar Zukunft gestalten.
Testen Sie einfach mal Ihre drei Lieblingswerte dahingehend, ob sie in kurzen Worten erklärbar sind. Denn bezeichnenderweise hat einer der Befragten geschrieben: «Alle, die hier rasch ihre Werte hinschreiben, haben gar nicht richtig reflektiert. Das sind nichts anderes als Standardantworten, nichts als Worthülsen.» Wenn Werte wirklich unser Leben beeinflussen und prägen sollen, dann finden wir Beispiele, in denen sie getragen haben. Zum Beispiel fand ich die Werte «verantwortlich leben», «respektvoll besitzen» und «fürsorglich teilen» in der folgenden, wahren Geschichte:
Ein kleines Stückchen Schokolade
Francine Christophe wuchs in einer säkularen jüdischen Familie in Paris auf und war bei Kriegsbeginn sechs Jahre alt. Wie viele andere, geriet sie zusammen mit ihrer Mutter in Gefangenschaft und wurde 1944 ins «Austauschlager» Bergen-Belsen deportiert. Noch Anfang April 1945 wurden sie in Richtung Theresienstadt transportiert und am 23. April bei Tröbitz befreit. Als Jugendliche hielt Francine Christophe ihre Erinnerungen in Notizen und Skizzen fest. Dazu gehört auch die Geschichte mit der Schokolade. Als Francine mit ihrer Mutter deportiert wurde, gelang es der Mutter, ein wenig Schokolade zu verstecken. Die Mutter gab es dem Mädchen und meinte: «Das behalten wir auf für einen Moment, wo du es dringend brauchst.» Die kleine Francine war damit einverstanden. Einige Wochen später erlebten sie gemeinsam, wie eine Insassin ein kleines Mädchen gebar. Danach war diese Frau völlig kraftlos. Die Mutter von Francine war dabei und ging anschliessend zu ihrer Tochter und meinte: «Jetzt wäre vielleicht der Moment, wo das Stück Schokolade dringend gebraucht wird. Bist du damit einverstanden, wenn wir diese Schokolade dieser Frau geben?» Francine war einverstanden, und so bekam die Gebärende wenigstens für einen Moment eine kleine, unerwartete Stärkung. Die Zeit verging und aus Francine wurde eine erwachsene Frau, die Psychologie studierte. Viele Jahrzehnte später hatte sie den Wunsch, einen Kongress für Psychologen zu organisieren zum Thema «2. Weltkrieg». Und es kamen viele Berufsleute. Eine der Referentinnen begann ihre Rede, indem sie ein Stück Schokolade mitbrachte und dieses Francine Christophe übergab. Dazu sagte sie: «Ich bin dieses Baby, das im KZ zur Welt kam.» Die Werte «verantwortlich leben», «respektvoll besitzen» und «fürsorglich teilen» haben Spuren und Erinnerungen hinterlassen, die 70 Jahre später an diesem Kongress zeigten, wieviel ein kleines Stück Schokolade bewirken kann.
Verlorene Werte
Doch Werte können auch verloren gehen. Der ehemalige deutsche Fussballer Uli Hoeness lebte auf Erfolgskurs. Als Sportler erhielt er mehrere Ehrungen. Später wurde er «Unternehmer des Jahres», erhielt den Bambi in der Kategorie «Wirtschaft». 2010 bekam er den Zivilcouragepreis der Stiftung «Bündnis für Kinder» und 2011 folgte der Ehrenpreis der Hamburger Sportgala für sein Lebenswerk und insbesondere für seinen Einsatz bei der Rettung des FC St. Pauli. Selbstverständlich erhielt er als erfolgreicher Präsident des FC Bayern München auch den «Bayerischen Verdienstorden». Die Liste liesse sich beliebig lang fortsetzen. Und er war beliebt. Bei den Vereinsmitgliedern wie bei den Fussballern. Ein bayrischer Nationalheld. Viele Geschichten erzählten davon, wie er sich persönlich und sehr engagiert um Menschen aus der Fussballwelt kümmerte, wenn es ihnen schlecht ging. Er war einer mit hohen Werten. Und die lebte er auch. Bis im Hintergrund die Gier, die Spielsucht sein Leben zerstörten. Aktien, Börsen, Wertpapiere – das war die Welt, die stärker war als Hoeness’ bisherigen Werte. In der Folge kam es zur Steuerhinterziehung, zur Anklage, zur Verurteilung. Die Börsensucht hat ihn in diese Katastrophe getrieben. Es steht niemandem zu, Hoeness zu verurteilen. Das haben die Richter getan. Er hat die Steuerschulden beglichen, hat seine Gefängnisstrafe abgesessen und amtet heute als neuer, alter Präsident des FC Bayern München wieder in der Führungsetage. Die Geschichten um Uli Hoeness zeigen, dass die eigenen Werte immer wieder überdacht und gepflegt werden müssen.
Das Leben reflektieren
Vielleicht braucht man dazu auch mal Hilfe. Ein erfolgreicher Wirtschaftsmann hat mir einmal erzählt, wie er mit all diesen Versuchungen «nach Mehr» umgegangen ist: «Ich habe mich einmal dafür entschieden, nie zu tricksen und im Graubereich zu agieren. Denn sobald ich mir überlegen muss, ob mein Handeln legal ist, bin ich schon in einer Zone, die meine Werte zerstört. Wer sich solche Fragen stellt, ist meistens schon auf der Spur des Scheiterns. Und dieses Handeln würde mich auch von Gott wegtreiben. Dieser Entscheid hat mir viel Freiheit gegeben, weil ich mir über Vieles keine Gedanken machen musste.»
Werte zeigen sich nicht nur in so grossen Geschichten wie bei Francine Christophe und Uli Hoeness. Manchmal sind es kleine Dinge, wie zum Beispiel beim Geocaching. Geocaching ist eine Art Schnitzeljagd für Erwachsene. Menschen verstecken irgendwo ein Behältnis. Und stellen dann die Koordinaten dazu via Internet und Apps für andere bereit. Diese gehen auf die Suche und finden diese Caches, diese kleinen oder grösseren wasserdichten Behälter. Diese sind meistens mit viel Herzblut gestaltet und raffiniert versteckt worden. Der Finder dieses Caches hinterlässt eine Notiz und trägt sich im Internet ein. So weiss die Person, die das Cache versteckt hat, dass es gefunden worden ist. Mich hat das auch begeistert. Aber ich wollte da nicht mitmachen. Ich kenne das. Da findet man Eines, und schon will man das Zweite. Dann das Zehnte, Hundertste, Tausendste … und schon bin ich wieder mitten im Leistungsdenken. Dabei will ich doch nur in der Landschaft oder Stadt «rumdüsen» und die Caches finden. Doch einer, der selber solche Caches auslegt, erklärte mir, dass das nicht okay sei. Da gebe sich jemand Mühe, damit andere etwas fänden. Da sei es doch nur ein Zeichen von Respekt dieser Person gegenüber, dass man sich bedanke mit einem kleinen Eintrag im Internet. So hatte ich mir das noch nicht überlegt, spürte aber sofort, dass sein Einwand richtig war. Hier ging es um Respekt, ein Wert, der auf der Rangliste der Wertebefragung immerhin Rang fünf belegt.
Auch Jesus sprach über Werte, immer und immer wieder. Wenn wir uns mit den sogenannt christlichen Werten auseinandersetzen möchten, kommen wir an der Bergpredigt nicht vorbei. Das sozialpolitische Vermächtnis aus dem Matthäus-Evangelium (Kapitel 5–7) hat gesellschaftsrelevantes Potential. Damit meine ich nicht nur die Seligpreisungen. Da kommt noch mehr.
Die Verse in Matth. 5,13-16 reden darüber, verantwortlich zu leben. «Licht und Salz» sein in unserer Gesellschaft. Die Verse in Matth. 5,21-22 machen das verbale Mobbing zum Thema: Achtsam sein im Umgang mit den Nächsten in Konfliktzeiten. Und im Kapitel 7, Vers 12 sind wir aufgefordert, wertschätzend zu leben. Die Bergpredigt ist voller Werte, denen nachzuleben nicht einfach ist. Aber sich damit auseinanderzusetzen könnte ein Anfang sein. Und manchmal führen die eigenen Werte auch zu Konsequenzen.
Auf den Spuren der eigenen Werte
Egal, in welcher Lebensphase man sich befindet, die Auseinandersetzung mit Werten lohnt sich. Angenommen, Sie dürften nur noch 20 Dinge besitzen, welche wären das? Gehen Sie ruhig mal durch Ihre Wohnung, Ihr Haus, Ihren Besitz und wählen Sie. Das wird schon ganz schwierig. Jetzt kommt der zweite Schritt. Welche Werte dokumentieren Ihre Wahl? Bei mir wäre sicher das iPad dabei. Denn auf diesem Gerät habe ich tausende Erinnerungsfotos, die mir wichtig sind. Da geht es um Menschen, um Geschichten, um Erlebnisse, die mich reich beschenkt haben. Der Wert dahinter ist Dankbarkeit. Und jetzt kommt die nächste Übung, die hilft, die eigenen Werte zu entdecken. Wählen Sie aus der Werteliste ruhig mal jene Werte aus, die Ihnen nicht so wichtig sind. Machen Sie das, bis nur noch etwa zehn übrig sind. Überlegen Sie sich, was diese Werte mit ihrem Leben zu tun haben. Welche Menschen und Geschichten dahinter stehen. Und nun versuchen Sie daraus eine persönliche Wertepyramide zu gestalten. Die genaue Anleitung dazu finden Sie auf den Seiten 8 und 9. Mit klaren Werten fallen Entscheidungen leichter. Ansonsten wird nur hin und her überlegt und mit mancher Entscheidung gehadert. Die Werte in meinem Leben sind mein Kompass, der mich richtig durchs Leben führt. Und letztlich auch näher zu Gott.