Von Ruedi Josuran
Es gibt im Alltag immer wieder Situationen, in denen Unsicherheit auftritt. Man betritt einen Raum und spürt Unbehagen, niemand spricht – es liegt Unausgesprochenes in der Luft. Dicke Luft. Bei Familienfeiern, Gesprächen mit Vorgesetzten, Teamkolleginnen oder Nachbarn.
Die einen schaffen es, alles wie bei einer Teflonpfanne an sich abtropfen zu lassen. Bei anderen kommen schnell Schuldgefühle auf. Auch ohne dass wirklich eine Schuld vorliegen würde, kommen Fragen auf wie: «Bin ich hier angenommen? Habe ich etwas falsch gemacht?» Ich kenne mich in der zweiten Kategorie gut aus. Zu lange blieb ich in einer Opferhaltung und zog mich zurück. Um die Negativspirale zu durchbrechen, probierte ich dann später immer wieder aktiv auf andere zuzugehen und das Gespräch zu suchen. Offene Kommunikation kann helfen, Missverständnisse auszuräumen und eine positive Atmosphäre zu schaffen. Es ist auch wichtig, sich selbst zu akzeptieren und zu wissen, dass die eigene Wertschätzung nicht von der Meinung anderer abhängt.
Es gibt so eine Rückzugs-Geschichte im Neuen Testament. Die Jünger waren nach dem Tod Jesu in einem kollektiven Angstzustand. Lieber auf Abstand, statt verletzt zu werden. Sie hatten sich hinter dicke Mauern zurückgezogen, die Türen verschlossen. Da brauchte es schon einen eindrücklichen Befreiungsschlag. Eine Zusage, die alle Mauern und Hindernisse durchbricht:
Die Jünger haben Angst und halten die Türen verschlossen. Sie haben sich verkrochen und abgekapselt. Doch das Leben findet sie trotzdem. Der Auferstandene tritt durch verschlossene Türen in ihre Mitte. Er wünscht ihnen Frieden. (nach Johannes 20,19)
Da hatte sich die Elitetruppe Jesu eingesperrt. Ihre Hoffnung auf den Messias und König war dahin. Lebensträume geplatzt. Keine Lebensperspektive mehr, keinen Plan B. Keiner öffnete die Tür mehr freiwillig.
Die Geschichte hat für mich mehr als Symbolcharakter. Das Leben selbst in Gestalt des Auferstandenen tritt unerwartet auf und wünscht ihnen Frieden. Die verschlossenen Türen konnten ihn nicht abhalten.
Wir haben es mit einem Gott zu tun, der Anteil nimmt an unserem Erleben, an Ängsten und Sorgen. Der immer einen Weg zu uns findet. Liebe lässt sich nicht abhalten. Sie ist kreativ und überwindet Hindernisse. In zahlreichen Begegnungen mit Talk-Gästen im FENSTER ZUM SONNTAG habe ich mitgenommen, dass Jesus den Menschen in ihrer Lebensrealität begegnet. Unerwartet steht er da. Jesus hat nicht analysiert oder Vorwürfe gemacht. Da musste nicht zuerst ein Defizit aus der Vergangenheit gesucht und aufgearbeitet werden. Das Wesentliche musste her. Eine Zusage, die alles verändert. Er steht einfach da und sagt: «Friede sei mit euch – Schalom!» Es ist gut. Auch wenn ihr vieles nicht versteht. Jemandem in dieser Form Schalom, also Frieden, zu wünschen, ist ein besonderes Zeichen der Ehre und Würdigung. Damit sagt der Besucher: Ich komme in friedlicher Absicht, ich will dir nichts tun. Ich klopfe bei dir an, weil ich mir deine Gastfreundschaft wünsche, aber ich will nichts erzwingen. Jesus hat gesagt: «Frieden hinterlasse ich euch. Meinen Frieden – nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt.» (Johannes 14,27) Die Jünger erkennen Jesus an seinen Wunden. Wenn wir uns verwundbar machen, Perfektions-Ansprüche hinter uns lassen, schaffen wir Nähe.