Mathias Fontana im Interview mit Pascal Haller
Fürs Elternsein gibt es keine Lehre und kein Studium. Vieles in der Erziehung geschieht aus Erfahrung und nach Gefühl. Intuition scheint also für Eltern ein weit verbreitetes Hilfsmittel zu sein. Ist auf das Bauchgefühl Verlass? Im Interview erklärt Pascal Haller, Vater von vier Kindern und Host des Podcasts «Vaterfragen», wie er Intuition und Bauchgefühl in der Erziehung erlebt.
ERF Medien Magazin: Welche Rolle spielt bei dir die Intuition in täglichen Erziehungsentscheidungen?
Pascal Haller: Ich behaupte, der Grossteil der Erziehungsarbeit geschieht intuitiv. Ich persönlich tendiere stark dazu, aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Das hat auch schon dazu geführt, dass ich gewisse Handlungen oder Entscheide später bereute. Hätte ich mir vor der Entscheidung kurz Zeit genommen, hätte ich das Für und Wider und auch die Konsequenzen meiner Handlung besser abwägen können.
Kommt dir ein konkretes Beispiel dazu in den Sinn?
Zum Beispiel als mein Sohn mich fragte, ob er am Wochenende bei einem Freund übernachten dürfte. Ich reagierte spontan, freute mich, dass sie ihre Freundschaft pflegen wollten, und sagte «Ja klar». Ein paar Stunden später fiel mir ein, dass wir an besagtem Wochenende einen Familienanlass haben, und musste mein Okay wieder zurückziehen. Die Folge: Mein Sohn war enttäuscht und ich nervte mich über mich selbst.
In welchen Situationen scheint dir Intuition besonders wichtig?
In alltäglichen Begebenheiten durch Beobachten und Deuten der Situation. So merke ich beispielsweise bei gewissen Körpersignalen des Kindes, jetzt muss es dringend aufs Klo. Hier sei gesagt, dass Intuition trainierbar ist. Vielleicht erkenne ich das zu Beginn noch nicht und es geht öfter mal was in die Hose. Mit der Zeit erkenne ich die Signale und ich handle instinktiv richtig, indem ich meinem Kleinkind sage, dass es zur Toilette gehen soll.
Und dann gibt es Dinge, die man als Eltern rational entscheiden will. Man merkt dann im Prozess, dass es nicht klappt. Beispiel: die Suche nach dem Babysitter. Man möchte als Ehepaar nach langer Zeit gemeinsam was unternehmen und fragt einen Babysitter an. Er oder sie sagt zu, man plant den Abend, der Babysitter kommt und man könnte gehen. Doch irgendwie spürt man, dass die Chemie zwischen dem Babysitter und den Kindern nicht stimmt. Rational könnte ich nun sagen, wir haben den Abend geplant und uns gefreut, Babysitter ist Babysitter, wir gehen. Oder man hört auf sein Bauchgefühl, die Intuition und bleibt zuhause. Weil, sind wir mal ehrlich, den Abend könnte man mit dem schlechten Gefühl im Bauch sowieso nicht mehr geniessen.
Denkst du, dass es Unterschiede bezüglich Intuition in der Erziehung zwischen Vätern und Müttern gibt?
Glaubt man der Wissenschaft, ist Intuition im Privatleben eher Frauensache, im Berufsleben dagegen Männersache.
Man weiss aber auch, dass Intuition trainierbar ist. So habe ich die Erfahrung gemacht, dass es immer darauf ankommt, in welchem Umfeld man sich bewegt. Ist der Mann als Hausmann zuhause, lernt er automatisch dort intuitiv zu handeln. So wie eine Toppmanagerin im Berufsleben ihren männlichen Kollegen in Sachen Intuition in nichts nachsteht.
Wo sind rationale und durchdachte Entscheidungen in Erziehungsfragen angebrachter als das Bauchgefühl?
Ich behaupte, dass es gar nicht möglich ist, nur rein rational zu entscheiden. Irgendwo spielt immer ein Stück Intuition mit. Es ist also immer ein Zusammenspiel von Verstand und Emotionen. Das ist auch unsere grosse Stärke als Eltern. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns dieses Zusammenspiels bewusst sind.
Klar gibt es Entscheidungen, die rationaler getroffen werden als andere. Zum Beispiel beim Festlegen der Höhe, des Zeitpunkts und der Form (digital, bar) des Taschengeldes.
Aber nur vermeintlich, denn auch hier spielen die Emotionen eine Rolle. Zum Beispiel in der Form, wie mein Kind das Taschengeld bekommt. Habe ich lieber Bargeld, dann wird das Kind sein Taschengeld in bar erhalten. Bevorzuge ich die digitale Variante, bekommt mein Kind das Taschengeld aufs Konto überwiesen.
Was sagen Erziehungsexperten zu diesem Thema? Gibt es da Tendenzen pro Intuition oder pro Evidenz/Daten?
Es gibt kein Handbuch, welches uns eine gelingende Erziehung garantiert und der Dschungel an Erziehungsratgebern ist gross. Hier hilft uns die Intuition als innerer Kompass. Unsere Intuition wird gespiesen von eigenen Erfahrungen, unserem angeeigneten Wissen, unseren innersten Gefühlen und hilft uns in Bruchteilen von Sekunden, gut zu entscheiden. Dabei können wir unsere Intuition trainieren wie einen Muskel. Das gelingt, indem wir uns bewusst Zeit nehmen und unser Umfeld beobachten. Mit der Zeit wird man feststellen, dass man gewisse Handlungen voraussagen kann. Unsere Intuition nimmt zu.
Hast du auch schon dein Bauchgefühl bei Erziehungsfragen verdrängt – und wie hat sich das schlussendlich ausgewirkt?
Da kommt mir der Musikunterricht unserer Kinder in den Sinn. Ein Kind wollte unbedingt Schlagzeug lernen, weil auch ein Geschwister bereits Schlagzeug spielte. Mein Bauchgefühl sagte eigentlich nein. Ich spürte, dass nur das bereits spielende Geschwister der Grund für diese Instrumentenwahl war. Und meine Vorahnung bewahrheitete sich: Mein Kind verlor relativ schnell wieder die Freude und Motivation am Schlagzeugspiel.
Wie wirkt sich der aktuelle emotionale Zustand der Eltern auf die intuitive Entscheidungsfindung aus?
In emotional angespannten Situationen ist die Intuition oft ein schlechter Ratgeber. Hier empfiehlt es sich, erst mal einen Gang runterzuschalten und für Entspannung zu sorgen. Zum Beispiel bei einem Spaziergang oder einem entspannenden Bad. So kann die innere Stimme wieder viel besser wahrgenommen werden und einiges scheint klarer.