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Zuversicht in aussichtslosen Situationen

«Von guten Mächten»: Eine Melodie geht um die Welt
Publiziert: 18.11.2024

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Marnie Hux-Ebermann im Interview mit Siegfried Fietz

Siegfried Fietz, Songwriter, Komponist, Produzent und Bildhauer, wurde weltweit bekannt als Komponist und Interpret der Melodie zum Gedicht «Von guten Mächten». 1970 kreierte er das musikalische Gewand für die Verse von Dietrich Bonhoeffer, die dieser in Untersuchungshaft in Berlin-Tegel zum Neujahr 44/45 für seine Familie und seine Verlobte zum Trost geschrieben hatte. Seither schenken die Zeilen im Mantel dieser Melodie Millionen von Menschen Hoffnung und Zuversicht in schweren Zeiten.

Herr Fietz, Sie sind in der Nachkriegszeit geboren und aufgewachsen. Inwiefern haben Sie den Krieg noch «erlebt»?
1946 bin ich in Bad Berleburg, Westfalen, geboren und wuchs mit drei Schwestern bei meinen Eltern auf. Den Krieg habe ich selbst nicht erlebt, wohl aber die Nachkriegszeit mit der unsagbaren Schwere, die über der Nation und den Familien lag. Auch meine Familie hatte einen schönen grossen Bauernhof in Ostpreussen und, wie bei den meisten, war nach dem Krieg alles verloren.

Meine Eltern haben in der Nachkriegszeit, wie alle durch den Krieg Traumatisierten, nicht gut reden können über die Kriegszeit. Darüber wurde nicht gesprochen. Was im und durch den Zweiten Weltkrieg passierte, war schrecklich, menschenverachtend. Die Menschen waren zu verängstigt, zu traumatisiert, um über diese Kriegszeit sprechen zu können. Auch war mein Vater zu 75 % schwer kriegsbeschädigt, das alles hat meine Generation geprägt. Seit jeher wünsche ich mir, dass diese Zeiten sich nie mehr wiederholen – und das ist bis heute mein grösstes Anliegen.

Was hat Sie befähigt, das Leid Ihrer Eltern-Generation anzusehen und zu reflektieren?
Meine Eltern waren gläubige Menschen. Unser Vater hat Geige gespielt und ich hörte ihm gerne zu. Ich begann früh, Mandoline und Gitarre zu spielen, und sang oft zuhause, während meine Familie in der Küche abwusch oder aufräumte. An einem Jugendgottesdienst habe ich mich mit 15 Jahren unter Gebet und Tränen Jesus zugewandt, woraufhin mich ein unfassbares Glücksgefühl erfasste. In jenem Moment wusste ich: «Jetzt kann ich ganz und gar an Gott und an Jesus glauben.» Und seither bin ich mit heissem Herzen dabei. Gott hat mir Dinge aufgezeigt, mich zum
Nachdenken, Reflektieren und Recherchieren geführt und ich konnte mehr und mehr verstehen, vergeben, Menschen lieben und ihnen von Jesus erzählen. Ich lebe jeden Tag in der Abhängigkeit von dem, was Gott mir schenkt, und er schenkt mir alles. Ich lebe in diesem Glauben, dass Gott es gut meint mit uns.

Dietrich Bonhoeffer lebte genau diesen Glauben als ein grosses Vorbild für die Menschen. Sein Gedankengut, seine Lehren und sein unerschütterlicher Glaube wirken bis in die heutige Zeit und haben an Relevanz nichts verloren. Im Gegenteil. Wie und wann haben Sie von Dietrich Bonhoeffer gehört?
Bonhoeffers Verse «Von guten Mächten» lernte ich mit 19 Jahren kennen durch einen Wandspruch im Nachbarhaus. Ich war sehr angerührt von diesem Text und seither bewegten mich seine Worte tief. Auf einem meiner Konzerte von der Landeskirche in Württemberg lernte ich Dr. Frieder Mörike, den damaligen Landesjugendpfarrer von Baden-Württemberg kennen. Wir sprachen über Dietrich Bonhoeffer, über seinen Glauben, seine Gedichte, seine Gesinnung. In der Nachkriegszeit bewegten mich Bonhoeffers Worte mehr und mehr und lösten bei mir grosse Fragen aus: «Bin ich heute dieser? Bin ich morgen ein anderer oder bin ich dann noch der gleiche?» Mit 20 Jahren spürte ich bereits wieder Rechtstendenzen und dachte: «Solche Zeiten dürfen sich nie mehr wiederholen!» Bonhoeffer war und ist mir ein grosses Vorbild, Inspiration und Trost. Er war 39 Jahre alt, als er im KZ in Flossenbürg hingerichtet wurde. Die Nazis vernichteten mit ihm einen der herausragendsten Theologen Deutschlands. Nicht nur die Kirche und die Gesellschaft allgemein hat ihm viel zu verdanken. Seine ökumenische Weite erlaubte ihm, gross zu denken. Dietrich Bonhoeffer ist einer der Deutschen, auf den wir sehr stolz sein können. Bonhoeffers Leben und seine Gedanken haben mich beeinflusst, geprägt, mich im tiefsten Herzen angerührt und ein Leben lang beschäftigt.

Sie haben Bonhoeffers Gedicht «Von guten Mächten» vertont und damit den tiefgründigen Versen ein musikalisches Gewand verliehen. Wie kam es dazu?
Bonhoeffer war ein kluger Mann. Ein sprachgewandter Theologe, Wissenschaftler und Seelsorger, der stets versuchte, Menschen zu erreichen, die am Rande standen. Er sprach einfach und klar in den Alltag der Menschen. Auf diese Weise verbreitete er die Botschaft von Jesus Christus auf eine schöne, nahbare Art unter anderem mit diesem wunderschönen Gedicht. Mit einer Melodie, die sich selbst nicht zu wichtig nimmt, die den Inhalt nicht überlagert und einfach hilft, diesen zu transportieren, wollte ich sein Ansinnen unterstützen. Durch mein Studium in Komposition und Instrumentation, aber vor allem durch Inspiration und einen göttlichen Funken, konnte ich abbilden, welche Teile der Verse wie klingen sollten, um das zu verstärken, was sie ausdrücken wollten.

Mit Erfolg. Ihre Vertonung von Bonhoeffers bekanntestem Gedicht erreichte seither Millionen von Menschen in verschiedenen Sprachen.
Im Internet gibt es rund 70 verschiedene Vertonungen dieses Gedichtes von unterschiedlichen Komponisten. Viele haben dem Gedicht musikalisch eine gewisse Schwere unterlegt. Ich habe dem Text aber etwas Positives abgelauscht und die Zuversicht gehört, die darin steckt. Ich glaube, dadurch konnte sich meine Version durchsetzen. Vor zwei Jahren wurde das Lied von der Evangelischen Kirche in Hannover zum Lieblingslied der Deutschen gekürt. Es wird regelmässig aus vollem Herzen gesungen und gespielt bei politischen Parteitagen, beim Gebetsfrühstück der Parlamentseröffnung in Österreich, unendlich vielen Beerdigungen und kirchlichen Veranstaltungen, Neujahrs-Reden und anderen Anlässen.

Das allein zeigt die Wichtigkeit der Zeilen auch für die heutige Zeit. Warum hat das Gedankengut Bonhoeffers heute nach wie vor Relevanz?
Weltweit erleben wir zurzeit ein erneutes Aufkeimen des Antisemitismus. Wie damals werden wieder Schuldige gesucht für all die Probleme der Länder. Nie wieder – ist jetzt! Denn das, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist, ist schrecklich und menschenverachtend. In Deutschland
wurde der Krieg in der Nachkriegszeit nicht oder nur ungenügend aufgearbeitet. Die meisten haben ihre Kriegstraumata und ihre aufgeschreckten Seelen mundtot gemacht, weil Schmerz und Scham zu gross waren. Es fehlt an Heilung in den Herzen, was wiederum zu Selbstschutz und Egoismus führt – und das vererbt sich in die nächsten Generationen. Undankbarkeit beginnt mit dem Vergessen. Dietrich Bonhoeffers Text ist uns da ein gutes Beispiel mit seinem weiten, tiefen Geist, vorausschauend, hoffend und Gott ergeben. Wenn wir das eines Tages in der Tiefe verstehen, gibt es keinen Platz mehr für Egoismus und das Suchen von Schuldigen in unserer Welt.

 

Zur Person
Siegfried Fietz ist verheiratet mit Barbara und Vater von drei Kindern. Vor 50 Jahren gründete das Ehepaar Fietz das Musik- Label ABAKUS Musik. Seit vielen Jahren prägt er die konfessionelle Szene mit seiner Musik, die weit über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt geworden ist. Als Bildhauer spricht Siegfried Fietz durch seinen Skulpturenpark in Wetzlar über die Liebe zu Gott, dem grössten Künstler überhaupt.

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