Erst jetzt realisierte er, wie sehr er einsam war, und wie er ohne echte, physische Kontakte zu anderen Menschen zu leiden begann. Was nützte ihm die schöne Lage seines Hauses, was die intakte Natur um ihn herum, wenn er zu keinem anderen Menschen mehr Kontakt haben, nichts austauschen, nichts teilen durfte. Tag für Tag sass er, wenn es das Wetter erlaubte, auf der Holzbank vor seinem Haus und starrte vor sich hin. Drinnen hielt er es nicht mehr aus – und draussen war es auch nur ein klein wenig besser. Zwar hatte er wöchentliche Telefonate mit Loretta und zum Teil auch mit den geliebten Grosskindern. Und solange die Post noch funktionierte, konnte er dank der Essenspakete, jeweils 50 Meter vom Haus weg deponiert, auch körperlich überleben. Aber so einsam, wie er sich nun fühlte, hätte er auch genauso gut sterben können. Es würde niemanden kümmern.
«Ich bin bei Dir, alle Tage.» Eine weitere Karte, ganz analog zur ersten, entdeckte er eine Woche später wieder bei seiner Post. «Schlechter Scherz!», widerfuhr es ihm unwillkürlich. Niemand ist bei mir, n i e m a n d! Schon wollte er diese Karte, die ihn jetzt nur ärgerte, ins Feuer seines kleinen Holzofens werfen ..., aber irgendetwas hielt ihn zurück. Was, wenn doch etwas Bedeutendes dahintersteckte? So stellte er die Karte, über die er sich zuerst nur ärgerte, auf das Sideboard, ganz in der Näher jener ersten Karte, die er auch behalten hatte. In den täglichen Nachrichten schien es um nichts anderes mehr zu gehen als um Corona – und um das Riesen-Theater um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen ... Ach, er konnte das schon alles gar nicht mehr hören. So stellte er immer häufiger den Fernseher gleich wieder ab – oder gar nicht mehr an und verkroch sich immer früher in sein Bett, um zu schlafen. Doch auch dieser Schlaf wurde immer weniger erholsam ...
«Ich bin bei dir, alle Tage, bis zum Ende dieser Welt», hiess es auf einer nächsten Karte, die ihn kurz vor Weihnachten erreichte. «Frechheit!», entfuhr es Lorenzo. Aber warum «bis zum Ende dieser Welt?» Sollte diese Welt etwa zu Ende gehen? Und er diesen Moment erleben? Abgeschieden von der Welt, wie er war? Kaum. Aber, die Sache wollte ihn fortan nicht mehr loslassen. Wer stand wohl hinter dieser seltsamen Aktion? So sehr er sich in den folgenden Tagen auch den Kopf zerbrach, er erhielt keine Antwort.