Türklinken waren in meiner Kindheit der Inbegriff von Heimat für mich.
Das klingt skurril, aber genau so war es. Wenn wir aus den Ferien zurückkehrten, gab es zuverlässig jedes Mal einen Moment, an dem sich bei mir das wohlig-warme Gefühl einstellte: Jetzt bin ich zu Hause. Und das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal wieder eine unserer Türklinken herunterdrückte.
Nie war mir ausserhalb von zu Hause bewusst, dass Türklinken sich anders anfühlten. Aber jedes Mal, wenn ich dann die vertraute Haptik in der Hand spürte, den Widerstand, der nicht ganz genau der gleiche war wie anderswo, die Breite der Türklinke, die sich leicht von derjenigen der «Ferien-Klinke» unterschied, jedes Mal war das der Moment, in dem ich dachte: «Wie schön, wieder zu Hause zu sein.»
Grundsätzlich würde ich mich nicht als allzu heimatverbunden bezeichnen. Ich mag die Schweiz und bin dankbar, hier leben zu dürfen. Aber ich könnte mir auch sehr gut vorstellen, an einem ganz anderen Ort zu leben. Meine ersten Assoziationen mit Heimat – Folklore, Traditionen, Heimatfilme – lösen bei mir wenig aus.
Es gibt aber ein bestimmtes Gefühl, welches ich eng mit dem Begriff «Heimat» verknüpfe. «Heimatgefühl » würde ich umschreiben als ein Gefühl des Vertrautseins. Soziale Konventionen und Interaktionen, aber auch Gerüche oder Geräusche verhalten sich in etwa so, wie ich es erwarte. Ich brauche nicht zu überlegen, mit welcher Begrüssungsformel ich mich am xTelefon melde, welche Geschwindigkeitsbegrenzungauf der Autobahngilt oder wie ich an Ticketsfür die Nutzung des öffentlichenVerkehrs komme. Handzeichen,die für mich normal sind, werdennicht versehentlich von meinemUmfeld als anzüglich gelesen. Undich kann einschätzen, wann meinGegenüber einen Witz macht.
All diese Dinge tragen dazu bei, dass ich mich in meiner Heimat freier bewegen kann als anderswo. Ich kann einfach «sein», ohne gross darüber nachzudenken. Ich fühle mich aufgehoben, sicher, zugehörig. In einem Wort zusammengefasst: Ich fühle mich geborgen.
Geborgenheit, so scheint mir, ist eine der grossen Sehnsüchte des Menschen. Vielleicht auch deshalb ist Heimat für viele von uns so wichtig. Und vielleicht auch deshalb sind sich viele Menschen einig: «Heimat ist für mich da, wo die Menschen sind, die mir nahestehen.»
So betrachtet, bedeutet auch mein Glaube für mich Heimat. Ich glaube an einen Gott, der mich geschaffen hat und ganz genau kennt. Mich vor ihm zu verstellen, ist also sinnlos – und zum Glück auch unnötig. Denn ich vertraue darauf, dass Gott mich genau so liebt, wie ich bin. Ich brauche keinen kulturellen Konventionen zu entsprechen, darf im falschen Moment lachen oder in Fettnäpfchen treten – und gehöre trotzdem zu ihm, bin akzeptiert und geliebt. In einer Welt, in der so vieles unsicher scheint, gibt mein Glaube mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Ganz ähnlich wie in meiner Kindheit das vertraute Gefühl der heimischen Türklinken.