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In jedem Ende steckt ein Neubeginn

Loslassen lernen, vom Ende her denken, Tiefgang gewinnen und bewusst leben.
Publiziert: 18.09.2018

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Von Markus Züger

Alles hat ein Ende, Loslassen lernen, vom Ende her denken, Tiefgang gewinnen und bewusst leben. Stell dir vor, alles wäre ohne Ende: deine Ausbildung, ein Tag, die Nacht, deine Arbeitsstelle, dein Leben oder eine Krise. Nicht auszudenken, wie sehr du darunter leiden könntest. So ist es doch direkt reizvoll, enden gewisse Dinge, wie z. B. eine Krankheit, eine mühsame Freundschaft, deine Ausbildung oder eine Krise. Das Ende aller Dinge ist der Anfang neuer Chancen. Also freue dich, dass das Leben von Endlichkeit geprägt ist und nutze diese Chancen. Es kann der erste Schritt zum Himmel noch auf dieser Erde werden.

Chancen nutzen
Sicherlich – wunderbare Momente sollten nie enden: ein romantisches Kennenlernen, wunderschöne Ferien, ein Super-Job, ein Tag voller Erfolge. Wäre das aber wirklich erstrebenswert? Wir würden in diesen wunderbaren Momenten «steckenbleiben», nicht weiterkommen – nichts Neues mehr hätte Platz. Letztlich ist es gut, hat alles sein Ende. Gott hat es so geschaffen und das Leben folgt diesem Prinzip. Krisen enden wieder, mühsame Arbeitsstellen werden plötzlich angenehm oder ein neuer Job mit viel Perspektiven folgt. Es gibt sicherlich auch herausfordernde Enden. Eine Beziehung geht in die Brüche. Das kann sehr schmerzvoll sein. Wer aber nicht in die Opferrolle fällt, sondern mit Gott und seinen Freunden zusammen das Alte verarbeitet, kann wieder neue und wertvolle Beziehungen aufbauen. Er kann neu starten und sieht manchmal schon schnell, manchmal erst nach Jahren oder sogar einem Jahrzehnt, wie wertvoll das Neue geworden ist. Einfach dranbleiben, beten, vertrauen – das Alte loslassen und dem Neuen immer wieder eine Chance geben: Das Leben zeigt uns, dass sich dies lohnt. Das gilt auch bei Arbeitsstellen oder Wohnortswechseln. Oder wenn es vom Arbeitsleben in die Pensionierung geht. Die Endlichkeit solcher Dinge ist für uns oft schwierig, wir schaffen es kaum loszulassen. Manchmal brauchen wir dann einen zusätzlichen Impuls von aussen. Und auch hier sehen wir oft schon nach Wochen, manchmal auch erst nach Jahren, dass dieser Schritt richtig war. Oft fragen wir uns später, warum wir dies nicht schon früher in Angriff genommen haben.

Alles hat ein Ende
Die Kindheit, unsere Ausbildung, unser Leben – alles hat ein Ende; und manchmal wünschten wir uns, es wäre schon da. Viele haben aber Angst vor der Endlichkeit. Ist dies berechtigt? Schon der weise Mose, ein Mann Gottes, schrieb im Psalm 90, Vers 12: «Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.» Endlichkeit steht gemäss Wikipedia für die Eigenschaft, dass etwas ein Ende zu haben hat und dass alles begrenzt oder vergänglich ist. Es lohnt sich, mit dieser Wahrheit leben zu lernen und das Hier und Jetzt nicht immer so wichtig zu nehmen. Ich spreche hier aus Erfahrung. Vor einigen Wochen ist mein geliebter Vater gestorben, vor einigen Jahren ging meine Ehe in die Brüche. Wie wichtig ist es da, zu diesen Endlichkeiten Ja zu sagen. Dostojewski meint: «Liebe dein Schicksal, denn es ist der Weg Gottes mit deiner Seele!» Spannend zu wissen, dass «Schicksal» eine Zusammensetzung der zwei Worte «geschickt » (Schick) und «Seele» (sal) ist: Das Schicksal wird also meiner Seele geschickt. Entweder lässt Gott solche Dinge zu, manchmal schickt er sie sogar höchstpersönlich.

Versöhne dich mit dem, was vorbei ist
Versöhne dich mit allem, was endet oder zu Ende gegangen ist. Dies ist nicht immer einfach. Doch dieses Ja zum Endlichen ist oft ein Ja zu etwas, das nicht mehr zu ändern ist. Es kostet sehr viel Energie, am Alten festhalten zu wollen. Lass es los und akzeptiere das Neue. Das Leben ist definitiv «endlich»: Schon eine Sekunde endet ziemlich schnell, jede Minute endet, jede Stunde, jeder Tag, jedes Jahr, jedes Jahrzehnt, jeder Sommer, jede Hitze, jede Kälte, jede Ehe, jedes Leben … alles endet. Sehr viele Menschen versöhnen sich nicht wirklich mit dieser so grundsätzlichen Lebenswahrheit und wollen Altes festhalten. Sobald sie das Alte oder das Schöne verlieren, beginnen sie zu jammern, unzufrieden zu werden oder nach hinten zu schauen. Oft fällt für sie sogar «die Welt zusammen», obwohl nur etwas endete, das enden musste. Alles hat ein Ende, sagt Psalm 119, Vers 96. Gewisse Übersetzungen schreiben sogar: «Vor allem Vollkommenen habe ich ein Ende gesehen.» Es endet aber nicht nur alles – es geht auch alles weiter! Wo ist dein Fokus, wo ist dein Blick? Auf dem, was endet oder auf dem, was neu entstehen kann?

Nicht per Zufall ist folgendes Sprichwort so bekannt: «Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!» Es lohnt, zu Dingen, die enden oder enden müssen, Ja zu sagen und sich damit zu versöhnen. Oft gilt es sogar, selber Dinge zu beenden, damit wir neue Möglichkeiten entdecken und weiterwachsen können.

Die Kunst des Loslassens
Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die der Mensch hat, ist das Loslassen. Doch viele leben diese Fähigkeit, die in ihnen steckt, zu wenig aus. Statt loszulassen klammern sie sich an Altes, das geendet hat und haben Angst vor dem Neuen. Sie wissen zwar, dass die Angst ein schlechter Berater ist und dass das Alte nicht mehr zurückkehren wird. Trotzdem wollen sie es behalten, gehen in die Opferrolle, trauern dem Vergangenen nach und verpassen so die Chance des Neuen. Sie sind sich zu wenig bewusst, was diese Haltung der Angst und des Festhaltens an Altem alles auslösen kann. Es blockiert den Geist, die Seele und macht auch den Körper krank. Die Kunst des Loslassens tut dem Geist, der Seele und dem Körper gut:

Akzeptieren, dass es nun so ist, wie es ist, das Neue zuversichtlich angehen, Lösungen für das Neue suchen, die Opferrolle bewusst verlassen, Verantwortung für das Neue übernehmen, gute Beziehungen nutzen und die Zukunft des Neuen aktiv gestalten sind solche Schritte, die guttun.

Diese Schritte entsprechen dem Prinzip der Resilienz. Resilienz steht für seelische Widerstandsfähigkeit und die Kompetenz, immer wieder aufzustehen und Neues aktiv anzugehen.

Das ganze Leben lernt uns eigentlich loszulassen. Wir müssen den Zustand des Geschütztseins im Mutterleib loslassen, wir können nicht ewig Säugling bleiben. Auch die Kindheit geht zu Ende, die vielleicht schönen Jugendjahre enden und es geht darum, Verantwortung im eigenen Leben zu übernehmen. Viele Freundschaften, oft auch eine Ehe oder eine wunderbare Arbeitsstelle gilt es loszulassen. Ebenso in der Pensionierung: Es geht darum loszulassen, dass wir nun meist weniger gefragt sind und nicht mehr als Arbeitskraft gebraucht werden. Wir bleiben aber als Menschen wertvoll, weil wir in Gottes Augen und hoffentlich auch in unseren eigenen Augen wertvoll sind. Endlichkeit begleitet uns ein Leben lang, und wer bereit ist, dies zu akzeptieren und Alt- und Liebgewordenes loszulassen, bekommt Raum für neue Impulse. Wichtig ist dabei, nicht Altes kompensieren zu wollen oder aus Angst vor der Leere immer etwas planen oder tun zu wollen. Akzeptiere, dass letztlich alles einmal ein Ende hat. So kannst du besser im Hier und Jetzt leben und die Zeit mit dir, deinen Nächsten und Gott frei und sinnvoll gestalten.

Genuss mit oder ohne Tiefgang
Unser Zeitgeist ist geprägt von «immer noch mehr», «alles optimieren», «dies und jenes auch noch geniessen» und «nichts verpassen ». Wer diesem Zeitgeist folgt, wird sich immer mehr in einem Strom wiederfinden, der von Druck und Stress geprägt ist. Nichts darf enden und alles muss noch besser werden. Dieser Zeitgeist ist definitiv keine Erfindung unseres Schöpfers, der die Nacht zur Entspannung nach dem Tag und den Sonntag als Ruhetag nach einer strengen Woche geschaffen hat. Trotzdem verbringen wir viel zu oft die Nächte mit Sorgen. Und an den Wochenenden sind wir getrieben, etwas zu erleben. Wer mehr von der Endlichkeit her kommt, geniesst das Ende eines Tages und reflektiert diesen. An Wochenenden und in den Ferien nutzen wir die Zeit, das zu tun, was uns wirklich guttut. Immer im Sommer nehme ich mir eine Woche Zeit, um in der Stille Gott zu suchen und Zeit für mich selber zu haben. Das ist meist die schönste Woche des Jahres: Ich muss nichts tun, habe einfach den ganzen Tag Zeit mit mir und Gott. Gott redet zu mir und ich finde zur Ruhe. Viele offene Fragen klären sich, und Gott schenkt mir neue Impulse und neue Frische. Nur wer bewusst mit dieser Endlichkeit lebt und immer wieder innehält, kann auch den Reichtum seines Lebens und das Sein bei Gott richtig geniessen. Er kommt in die Tiefe und gestaltet so das Leben in sinnvollerer Art als derjenige, der dem Genuss hinterher springt und ihn doch nie so richtig findet.

Vom Ende her denken
Stell dir vor, du sitzt an deinem Lebensende auf einer Bank an einem wunderschönen Aussichtspunkt in den Alpen. Du machst dir Gedanken über dein Leben. Wirst du dabei denken: «Oje, ich hätte noch viel mehr tun und intensiver arbeiten sollen?» Kaum! Du wirst eher denken: «Warum habe ich mir für mich selber und meine Nächsten nicht mehr Zeit genommen? Die Zeiten mit Gott kamen auch zu kurz.» Richard Clinton hat dieses Thema erforscht: Er hat dabei folgende Faktoren herausgefunden, die dir ein gutes Ende deines Lebens ermöglichen:

1) Persönliche und lebendige Beziehung mit Gott pflegen, mit Intimität und mit Gehorsam
2) Lernbereite Haltung behalten, auch im hohen Alter: Feedbacks ernstnehmen, sich weiterbilden
3) Charakterbildung im Leben als zentral behandeln, an seiner Persönlichkeit arbeiten
4) Abhängigkeit von Gott täglich leben: an die im Alltag empfangbaren Verheissungen glauben
5) Gottes Absichten leben und erreichen: die von Gott geplante Hinterlassenschaft erreichen
6) Das Leben ständig aus dem Bewusstsein meiner Berufung heraus gestalten
7) Gut in Teams eingebettet sein, auf andere hören und von ihnen lernen

Es lohnt sich, in einer solchen Haltung zu leben und so sein Leben bewusst vom Ende her zu gestalten. Es braucht etwas Investition, um sich Zeit dafür zu nehmen – aber lohnen wird sich dies auf jeden Fall. Du bestimmst darüber, wie du einmal enden wirst; es liegt in deinen Händen. Die Gestaltung deines Endes beginnt schon heute.

Mich etwas weniger ernst nehmen
Wir haben in den letzten Jahren, ja sogar Jahrzehnten gelernt, uns selber wichtig zu nehmen. Dies ist grundsätzlich gut und im Sinne unseres Erfinders, der uns auch ernst nimmt und sogar alle Haare auf unserm Haupt gezählt hat. Wir sind wichtig, wertvoll, haben eine Berufung und leben auf dieser Welt ein sinnvolles Leben. Oft nehmen wir uns aber im Hier und Jetzt zu ernst. Alles muss funktionieren und unsere Grundbedürfnisse wie z. B. «angenommen sein, Dinge richtig zu machen, stark und souverän sein, verstanden zu werden und in Harmonie zu leben» sind uns zu wichtig. Wir sind oft sogar abhängig davon. Wenn etwas nicht stimmt, sind wir unzufrieden. Die Endlichkeit des Lebens möchte uns lernen, dass all diese Dinge nicht so wichtig sind. Sie müssen nicht immer vorhanden sein. Ich kann auch zufrieden sein, wenn ich mal nicht Recht habe, wenn Disharmonie herrscht und ich mich nicht angenommen fühle. Das ist echte Freiheit! Ich bin glücklich mit dem Leben, auch wenn ich mich mal nicht bestätigt fühle, ich unsicher bin, mich schwach fühle, Dinge nicht richtig gemacht habe oder nicht verstanden werde. All diese Bedürfnisse sind ja gut und recht, doch auch sie sind endlich. Sich dann trotzdem zu lieben und sich wertvoll zu fühlen ist echte Lebensqualität. Der Tod Jesu am Kreuz, wo er für all das Nichtgelungene und für alles Versagen von uns gestorben ist, hat die Grundlage für ein solches Leben von positiver Endlichkeit geschaffen. «Christus ist des Gesetzes Ende», schreibt Paulus in Römer 10, Vers 4. Es muss nicht alles stimmen, um glücklich zu sein.

Eine Frau aus einer von Armut geprägten Stadt in Argentinien war sehr erstaunt, wie gut wir es in der Schweiz haben. Bei ihr zuhause herrsche Kriminalität und Unsicherheit. Trotzdem, so führte sie aus, sind die Leute dort glücklicher als wir in der Schweiz, die wir fast alles haben. Die Leute in diesen Ländern sind es gewohnt, dass vieles sehr endlich und unvollkommen ist. Sie freuen sich deshalb umso mehr an dem, was ist und an ihren Beziehungen. Je besser du lernst, mit Endlichkeiten zu leben, nicht Funktionierendes loszulassen und dich nicht so wichtig zu nehmen, desto glücklicher wirst du werden. Es muss nicht alles perfekt sein. So wächst echte Gelassenheit, Freiheit und Freude, die unabhängig ist von Äusserem. Wenn du die Endlichkeit so verstehst, entsteht in dir echte Lebensqualität. Dies wünsche ich dir!

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