Von Ruedi Josuran
Sie war immer da in meinem Leben. Beim ersten innigen Kuss, beim ersten frei formulierten Gebet, als ich Abschied nahm von Eltern und Freunden, in festlichen Momenten, in Stunden der Dunkelheit und tiefer Traurigkeit. Da, wo Worte nicht mehr ausgereicht hätten, die Wirklichkeit zu beschreiben, drang sie durch. Die Musik. Und dann erst live gespielt in Verbindung mit besonderen Orten: Zucchero in der Arena di Verona, Prince in Montreux, Sting in der Toscana, Lionel Richie oder Joe Cocker im Hof des Landesmuseums, Genesis mit der ganzen Familie in Basel, Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg in Köln, gregorianische Gesänge in Assisi – um nur einige aufzuzählen. Für einen Moment schien jeweils die Zeit still zu stehen.
«Die Musica ist eine Gabe Gottes, die da fröhlich macht.» Das, was Martin Luther schreibt, gilt immer noch und immer wieder. Sie erzeugt Gänsehaut, Tränen, Melancholie, bringt mich auf die Beine, ermutigt mich, erzeugt Euphorie, erhellt meinen Tag, bringt mich in Berührung mit Gott. Schon jetzt gehen mir die Worte aus. Jemand hat einmal Glaube und Musik als spirituelles Traumpaar bezeichnet. Der Benediktinermönch Anselm Grün betont auch die therapeutische Wirkung von Musik. Er beschreibt die Macht und Fähigkeit der Musik, uns Mut zu machen, uns zu trösten, Freude auszudrücken, Trauer zu bewältigen, Angst loszulassen. Dazu aber auch aufzubrechen, aufzustehen. Ihre heilende Wirkung ist auch geheimnisvoll, sie braucht keine Erklärung. So verstehe ich meinen Glauben auch. Was wären Filme ohne ihre unvergesslichen Soundtracks? Sie lösen bei mir immer wieder Kopfkino vom Feinsten aus. Um nur einige aufzugreifen aus meiner persönlichen Favoritenliste: «Circle of Life» und «Can You Feel the Love Tonight» von Elton John zum Kinofilm «König der Löwen». Oder die Filmmusik komponiert von Miklós Rózsa bei «Ben Hur» und die Musik zu Steven Spielbergs Meisterwerken «Indiana Jones» oder «Schindlers Liste».
Die Musik schafft Unfassbares – das habe ich bei meinem letzten Besuch unserer Freundin Luisa gesehen: Sie hatte einen Schlaganfall erlitten und ihre Sprach- und Ausdrucksfähigkeit war schwer beeinträchtigt. Stumm sass sie in ihrem verdunkelten Zimmer bei meinem letzten Besuch. Eine Freundin begleitete mich durch die Gänge des Pflegeheims. Beim Anstimmen von Volksliedern wie «Schacherseppli» oder «Buurebüebli » veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Beim Singen kamen die Wörter mühelos über ihre Lippen. Das, was sonst im Alltag nicht mehr ging, war da. Die Lieder lösten ihre Sprech-Blockaden.
Die Musik überdauert alle Zeit: David lebte 1000 Jahre vor Christus. Seine Psalmen sind bis heute Inspiration pur. Er spielte Harfe und seine Musik hatte therapeutische Wirkung für König Saul. Sie beruhigte ihn, sogar der böse Geist floh, als David spielte. Im Buch Samuel 16,14ff wird die Geschichte von Saul und David ausführlich beschrieben:
«Der Geist Jahwes war von Saul gewichen, es plagte ihn ein böser Geist. Da sprachen Sauls Diener zu ihm: ‹Siehe, dich plagt ein böser Geist. So möge doch unser Herr befehlen, so werden deine Knechte einen Mann suchen, der das Harfenspiel versteht. Sooft dann der böse Geist über dich kommt, soll er die Saiten rühren – und es wird dir wieder wohler werden.› Saul erwiderte seinen Dienern: ‹Seht euch für mich nach einem Mann um, der gut zu spielen versteht und bringt ihn zu mir.› … So kam David zu Saul und wurde sein Diener. Sooft der böse Geist über Saul kam, griff David zur Harfe und spielte. Dann wurde Saul leichter; er fühlte sich besser und der böse Geist wich von ihm.»