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winterlicher Nachthimmel mit Sternschnuppe | (c) AdobeStock

Der Glaube an das Gute in bösen Zeiten

Dietrich Bonhoeffer als Vorbild
Publiziert: 18.11.2024

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Von Dr. Thorsten Dietz

Was macht Bonhoeffer so besonders? Kaum ein Theologe findet weltweit so viel Beachtung wie Dietrich Bonhoeffer. Das hat sicher mit seinem Schicksal zu tun, als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus den Märtyrertod erlitten zu haben. Vorbilder unbedingter Gradlinigkeit findet man nicht oft.

In seinen Texten formuliert Bonhoeffer seinen Glauben in verständlicher und tiefgründiger Weise zugleich. Vor allem sein Gedicht «Von guten Mächten» ist ein Musterbeispiel dafür. Wenige Monate vor seinem gewaltsamen Tod formuliert Bonhoeffer Trost und Zuversicht zugleich in einer Welt, in der es für beides keinen Grund mehr zu geben scheint. Dietrich Bonhoeffer hat im Laufe seines Lebens viele konkrete Hoffnungen aufgeben müssen. Und doch hat ihn die Hoffnung nicht verlassen. Wie ist ihm das gelungen? Und was können wir von ihm lernen?

Ein Mann mit vielen Möglichkeiten
Bonhoeffer ist in einer wohlhabenden wie einflussreichen Familie gross geworden. Viele Türen standen ihm offen. Dass er sich entschieden hat, Theologie zu studieren, stiess auf Unverständnis. Viele von seinen engsten Verwandten hielten Kirche und Christentum für veraltet. Bonhoeffer liess sich jedoch von seinem Weg nicht abbringen. Wenn die Kirche heute einen antiquierten Eindruck macht, dann muss er sie verändern, sagte er. Er wollte sich nicht damit abfinden, dass Gott und Kirche als eine Sache der Vergangenheit angesehen werden.

Bonhoeffer war ein Mensch vieler Begabungen und grosser Pläne. Schon mit 21 Jahren hatte er einen theologischen Doktortitel. Wenige Jahre später folgte eine Habilitation. Berühmte Theologen wie der Schweizer Karl Barth wurden auf ihn aufmerksam. Was hätte er alles werden können? Eine Professur an einer renommierten Universität schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Oder auch ein hohes kirchliches Amt. Mit Mitte zwanzig hatte Bonhoeffer eine führende Rolle in der Jugendarbeit der internationalen ökumenischen Bewegung. Sein Ziel, zu einer Erneuerung der Kirche und der Theologie beizutragen, schien greifbar nahe.

Leben angesichts der Siegesserie des Bösen
Die nationalsozialistische Machtergreifung 1933 durchkreuzte alle Pläne. Als Gegner des Dritten Reichs hatte er keine Aussicht mehr auf eine Professur in Deutschland. Und mehr noch: Weil die Glaubensbewegung Deutscher Christen mit ihrer nationalsozialistischen Ausrichtung in weiten Teilen der Evangelischen Kirche in Führungsverantwortung kam, hatte er auch keine Hoffnung mehr, eine Pfarrstelle zu bekommen. Mit der Zeit wurden auch seine Rede-, Reiseund Veröffentlichungsfreiheit immer stärker beschnitten. Bonhoeffer musste sich völlig neu einstellen auf die Situation. Weiterhin dachte er in grossen Dimensionen. Er ging nach London und übernahm dort ein Auslandspfarramt. Er hatte die Möglichkeit, in die USA zu emigrieren und dort eine theologische Karriere zu machen. Er engagierte sich in der Bekennenden Kirche im Widerstand gegen die nationalsozialistisch gewordene Leitung der Kirche und hoffte, diese könnte einen kompromisslosen Widerstand gegen die Gleichschaltung des nationalsozialistischen Deutschlands leisten. Er leitete ein Predigerseminar der
Bekennenden Kirche in Finkenwalde und investierte seine ganze Kraft in die Ausbildung des kirchlich-theologischen Nachwuchses.

Der gescheiterte Widerstand
Aber auch diese Aufbrüche scheiterten. Viele in der Bekennenden Kirche wollten nicht wie Bonhoeffer auf einem solchen Weg der kompromisslosen Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit dem Faschismus bleiben. Der vermeintliche Widerstand verlor durch Kompromisse immer mehr an Kraft. Schliesslich wurde Bonhoeffers Predigerseminar geschlossen. Der Krieg stand kurz bevor.

Als all diese Hoffnungen sich auflösten, verschrieb Bonhoeffer sich einem letzten Ziel. Als Mitwisser und Berater war er Teil des Widerstandes gegen Hitler in der Wehrmacht. Er unterstützte die konspirativen Versuche, die Kriegspolitik des Dritten Reichs zu sabotieren, ebenso wie er von Attentatsplänen und Anschlägen wie von Stauffenberg wusste und diese mittrug. Auch dieser letzte Versuch, etwas Grosses zu bewegen, scheiterte. Dietrich Bonhoeffer wurde im Mai 1943 verhaftet – kurz nachdem er sich verlobt hatte. Er wurde wenige Wochen vor Kriegsende im April 1945 hingerichtet, obwohl die alliierten Truppen schon grosse Teile Deutschlands erobert hatten.

Wie kann man glauben, von guten Mächten wunderbar geborgen zu sein, wenn der eigene Lebenslauf viel deutlicher zu zeigen scheint, dass man von allen guten Geistern verlassen ist? Wie kann man am Glauben an Gott festhalten, wenn das Teuflische auf Erden einen Triumph nach dem anderen feiert? Wie kann man an das Gute glauben in einer Welt, die mehr und mehr dem Bösen verfällt?

Hoffnung und Optimismus sind zweierlei
Bei Bonhoeffer kann man lernen, dass Hoffnung und Optimismus zweierlei Dinge sind. Er war kein Stehaufmännchen voll unverwüstlicher Zuversicht, kein Träumer, der sich an ein «Wird-schon-nicht-so-schlimm-Werden» halten konnte. Angesichts der nationalsozialistischen Revolution war er Realist, das heisst: Er rechnete von Anfang an mit dem Schlimmsten. Er machte sich keine falschen Hoffnungen. Bonhoeffer war keineswegs unverwundbar. Die nicht enden wollende Reihe furchtbarer Schicksalsschläge erschütterte ihn zutiefst. Bonhoeffer war kein Mensch, der die Realität verdrängen oder schönfärben konnte. Fast alle Sicherheiten seines Lebens zerbrachen in dieser Zeit. Wenig blieb ihm ausser der Treue seiner Familie und einiger guter Freunde. Die Briefe aus dem Gefängnis zeigen, wie Bonhoeffer mit seinem Lebensweg gerungen hat. Seine Zuversicht, dass Gott durchträgt, war aufs Äusserste erschüttert. Welcher Halt blieb ihm?

Mit Gottes Leiden mitleiden
Immer wieder beschäftigt sich Bonhoeffer in diesen Monaten mit der Erzählung von den letzten Stunden Jesu, vor allem im Garten Gethsemane. Noch das Gedicht «Von guten Mächten» zeigt dies mit der Formulierung «Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern». In einem Brief vom 18. Juli 1944 schreibt Bonhoeffer: «<Könnt Ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?>, fragt Jesus in Gethsemane. Das ist die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet. Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden. Er muss also wirklich in der gottlosen Welt leben, und darf nicht den Versuch machen, ihre Gottlosigkeit irgendwie religiös zu verdecken, zu verklären; er muss <weltlich> leben und nimmt eben darin an dem Leiden Gottes teil.»

Am Leiden Gottes teilnehmen ist für Bonhoeffer keine mystische Vorstellung. Entscheidend ist für ihn die Erkenntnis, dass Gott das Böse nicht gewaltsam besiegt hat, sondern im liebenden Leiden Jesu Christi. Dieser Sieg, diese Versöhnung, gilt zwar ein für alle Mal. Aber das bedeutet nicht, dass es uns ganz anders gehen wird als Jesus.

Im Brief am Tag direkt nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler, als Bonhoeffer klar werden musste, dass alle Hoffnungen vergebens waren, schreibt er seinem Freund Eberhard Bethge: «Wie sollte man bei Erfolgen übermütig oder an Misserfolgen irre werden, wenn man im diesseitigen Leben Gottes Leiden mitleidet?» (21.7.)

Menschlich gesehen ist es unbegreiflich, wie man an Gottes Regiment in dieser Welt noch glauben soll, wenn Hitler eins ums andere Mal auch noch so gut geplanten Anschlägen entkommt. Adolf Hitler konnte noch am selben Abend im Rundfunk sein Überleben als Bestätigung seiner Berufung durch Gott bezeichnen.

Bonhoeffer weiss: Angesichts des gescheiterten Stauffenberg-Attentats müssen alle Anstrengungen des Widerstandes als gescheitert gelten. Mag auch der Nationalsozialismus den Alliierten unterliegen, eine vorzeitige Beendigung seiner Schreckensherrschaft von innen wird
es nicht mehr geben, und das wird für viele Menschen, wohl auch für ihn persönlich wie für viele seiner Freunde, schreckliche Konsequenzen haben.

In dieser Situation reflektiert Bonhoeffer noch einmal grundsätzlich seinen Lebensweg der letzten Jahre. In so einer Lage hilft keine Erklärung mehr, nur noch eine Haltung: Es gilt an Gottes Leiden mitzuleiden. Was ist damit gemeint?

Vieles bleibt sinnlos
Zunächst einmal ist das vor allem ein Sinnverzicht im Blick auf diese Ereignisse. Es lässt sich keine sinnvolle Erklärung für diese Kette des Scheiterns benennen. Es ist schier unbegreiflich, warum Hitler so viel Glück und seine Gegner so viel Pech haben. Diese Unbegreiflichkeit ist bedingungslos anzuerkennen. Und zugleich wird dieser Sinnverzicht – in einen neuen Sinnhorizont gestellt: die Gewissheit, dass es auch ein göttliches Leiden an diesem Geschehen gibt. Wer am eigenen Scheitern und am Triumph des Bösen leidet, nimmt teil am Leiden Gottes. Diese Sicht erklärt das Leid dieser Welt in keiner Weise und nimmt es auch nicht weg. Aber offenbar verhilft diese Sicht Bonhoeffer in dieser Situation dazu, nicht zu verzweifeln, ja am Ende dankbar und friedlich an Vergangenes und Gegenwärtiges (21.7.) zu denken. Aber die Gemeinschaft mit Gott im Leiden erlaubt mit dieser Antwortlosigkeit einen heilsamen Umgang. Denn das eigene Leiden gewissermassen in Gottes Leid miteinbezogen zu wissen, stiftet offenbar die heilsame Möglichkeit einer Distanzierung von sich selbst: nicht zuerst an die eigenen Nöte, Fragen, Sünden, Ängste denken, sondern sich in den Weg Jesu Christi mithineinreissen lassen. (18.7.)

Am Ende aller Hoffnungen bleibt die Verheissung Gottes bestehen
Einige Wochen später kommt Bonhoeffer noch einmal darauf zu sprechen, wie wir mit der Erfahrung des absolut Sinnlosen umgehen können. Manches bleibt abgrundtief sinnlos, auch im Glauben. Und doch bleibt Gottes Verheissung bestehen. Gott ist an unserer Seite auch im Leiden. Die Kategorie der Verheissung lässt diese Einsicht bestehen und verknüpft sie zuletzt mit einer Hoffnung über die gegenwärtige Verzweiflung hinaus. Zuletzt verweist Bonhoeffer auf den letzten Grund einer solchen Hoffnung: Hätte Jesus nicht gelebt, dann wäre unser Leben trotz aller anderen Menschen, die wir kennen, verehren und lieben, sinnlos. (21.8.) Das klingt radikal, wenn nicht anstössig: Hat Bonhoeffer nicht vielfach deutlich gemacht, welche überragende Bedeutung menschliche Beziehungen für ihn haben? Diese radikale Zuspitzung gewinnt Bonhoeffer aus der Meditation des Lehrtextes, den die Herrnhuter Losungen für Eberhard Bethges Geburtstag am 28.8. auswiesen: Alle Gottesverheissungen sind Ja in ihm und sind Amen in ihm. (2. Korinther 1,20) Das Leben Jesu steht nicht für eine Überwindung oder Vergleichgültigung des irdischen Lebens mit seinen Beziehungen. In Christus findet sich für Gläubige der feste Boden für die Zuversicht, am bleibenden Wert aller irdischen Güter nicht verzweifeln zu müssen.

Nachfolge als Mitte des Glaubens
Was ist bei Bonhoeffer neu und inspirierend? Bonhoeffer macht wieder den praktischen Aspekt der Nachfolge Jesu zum Zentrum des Glaubens. Nachfolge bedeutet dreierlei:

In Jesus Christus kommt Gott uns nah. Wo wir uns mit Jesus beschäftigen, wo wir uns in seine Worte und Taten vertiefen und wo wir auch im Alltag im Kontakt zu ihm bleiben, sind wir berührt von der Liebe Gottes.

Nachfolge Jesu bedeutet auch, an Jesus für das eigene Denken und Handeln Mass zu nehmen. Nicht mitmachen, wo sich Menschen mit Spott und Verachtung behandeln, nicht zurückschlagen, wo verbale und schlimmere Gewalt herrscht. Hingegen die Augen öffnen, wo andere wegschauen, Ausgrenzungen nicht mitmachen, Feindseligkeit nicht verschärfen, Frieden bewahren und für Frieden arbeiten, wo immer das möglich ist.

Schliesslich gehört zu Nachfolge das Wissen, dass Gottes Liebe wohl das letzte Wort ist, es aber in dieser Zeit immer wieder Triumphe des Bösen geben mag, die wir weder mit weltlicher Macht noch mit geistlichem Kampf verhindern können. Manchmal bleibt uns nur: aushalten. Persönlich und gemeinsam, im Wissen, dass Gott selbst mittendrin ist in diesem Aushalten. Das Böse ertragen, ohne böse zu werden. An der Liebe festhalten, wo sich alles zum Hass verhärtet. Nicht bitter werden. Viele Hoffnungen aufgeben, ohne die grosse Hoffnung zu verlieren.

Bonhoeffer hat Nachfolge Jesu in diesem dreifachen Sinne gelebt, geglaubt, gesungen und auch im Leiden bewährt.

 

Zur Person
Dr. Thorsten Dietz wohnt mit seiner Familie in Marburg und arbeitet in Zürich für Fokus Theologie. An Dietrich Bonhoeffer fasziniert ihn die Erfahrung, dass es Nachfolge Jesu nicht nur vor 2000 Jahren gab, sondern dass sie auch heute noch möglich, herausfordernd und erfüllend ist.
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