Benedeien und Vermaledeien
Das altertümliche Wort «benedeien» ist eine Eindeutschung der lateinischen Benediktion und bewahrt etwas von einem Sinn der guten Worte, in denen mehr steckt als gute Rhetorik. Segensmacht ist noch einmal etwas anderes als die Empfangsbereitschaft der Hörer. Im Lob, im Segen kommt eine Macht zum Tragen, die das Gute bewirkt. Der Segen ist Sprechen, das den Umweg über den Namen macht. Wer segnet, ruft den Namen Gottes an. Es geht also beim Segnen nicht darum, andern Reden zu halten und sich verständlich zu machen. Gott segnet, nicht der Spruch. Der Segen ist im strikten Sinne des Wortes Zuspruch; er bespricht nichts, er verspricht. Wenn ich dem Gegenüber Gott zuspreche, will ich Gott wirken lassen. Nur in dieser Ablenkung hat mein Wort Kraft. Wenn wir einander grüssen oder gute Besserung wünschen, blitzt etwas vom religiösen Erbe der Segnung auf. Wir sagen «A dieu» und «Grüezi» – das ist eine Abkürzung für «Grüss Gott». Die Briten sagen «bless you», wenn einer niest. Worte sollen Gutes tun! Sie sollen tun, was sie sagen.
Der Segen ist ein Sprechakt, der denen, die zuhören, Frucht bringen soll. Im Licht dieser erhofften Wirkung könnte man die Predigt als ein Wort charakterisieren, das seine Hörer sucht, um sie in den Segensraum hineinzurufen. Gottes Wort kann das bewirken. In den Reden Jesu spürt man etwas von der Sehnsucht Gottes, wenn er den verlorenen Menschen zurückruft – wie ein Hirte, der sich auf die Suche macht nach dem einen Schaf aus seiner Herde, das sich verirrt hat, eines von hundert! Das Wort, das sucht und das Wort, das segnet, sind beides keine Machtworte. Man kann sich ihnen verweigern. Sie sind nicht zwingend. Sie werben, locken und laden ein. Was ihre Kraft ausmacht, wird einem auch klar, wenn man sich mit der Kehrseite befasst. Das Wort, das vertreibt und das Wort, das verflucht entfalten eine andere Macht. Sie spalten, vernichten, bannen und töten. Das Vermaledeien ist das Gegenteil des Benedeiens. Wir schimpfen, zetern, fluchen und pöbeln, wenn uns etwas oder jemand ärgert. Einige Menschen leiden lebenslänglich an der Wortmacht einer Beleidigung, die ein Vertrauensverhältnis zu zerstören vermochte. Worte, die uns beschämen oder blossstellen oder verleumden, sind Angriffe auf unsere Person. Schier endlos können wir Beispiele für diese Wirkkraft aufzählen. So verwunderlich ist das nicht. Schliesslich misshandeln wir uns auch mittels Sprache …
Segnet, die euch fluchen
Wäre es – eingedenk dieser Risiken – nicht besser zu schweigen? Wie viele Male dachte ich schon: Hätte ich bloss den Mund gehalten! Allerdings machte ich auch die beschämende Erfahrung, dass ich nichts zu sagen wusste, als es drauf angekommen wäre! Es gibt Situationen, in denen das gute Wort gegen das schlechte Wort anreden muss. Schlägt das Benedeien das Vermaledeien? Schön wär’s! Die Segnenden müssen damit rechnen, dass sie aufs Maul bekommen. Jesu Gebot, «liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen» (Mt 5,44) ist – im doppelten Sinne des Wortes – eine unerhörte Botschaft. Wer sie weitersagt, riskiert mehr als eine Lippe.
Trotzdem! Die Feindesliebe ist eines dieser Worte, die hundertfältig Frucht bringen, wenn sie auf guten Boden fallen. Dieses Wort hat die Kraft, Berge zu versetzen. Es gibt zehntausend Gründe, daran zu glauben, danach zu handeln und es in Gottes Namen weiterzusagen!
Übrigens enthält dieser Artikel ungefähr 1660 Wörter, etwas mehr als 10 000 Zeichen. Ob ein Wort Sie getroffen hat? Ich kann es nur hoffen. Auf jeden Fall weiss ich: Es sind hundertmal hundert Zeichen!