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Warten auf Zuneigung
Warten auf Zuneigung | (c) Jonathan Rados on unsplash

Zufall? — eine Weihnachtsgeschichte

«Meine Weihnachtsgeschichte» – erzählt von Hans-Georg
Publiziert: 13.10.2020

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Es geschah in der Vorweihnachtszeit und für Menschen, die mit dem Glauben an den, dessen Geburt in dieser Zeit entgegengefiebert wird, nichts am Hut haben, wird das nun Erzählte unter Zufall verbucht werden.

An diesem Morgen waren die Strassen das erste Mal richtig glatt und die Fahrt zur Arbeit war zu einem Geduld- und Konzentrationstest geworden. Die zähflüssige Autofahrt nutzte ich zum ausgiebigen Gebet, da ich überzeugt bin, dass Gott jeder noch so kleinen Bitte Gehör schenkt, nicht eine verloren gehen lässt und sie auf seine Art beantwortet. Den Beweis erhielt ich im Laufe des Tages.

Abschliessend bat ich den Herrn, mir heute viele Menschen begegnen zu lassen, denen ich meinen Glauben in Worten und Taten bezeugen konnte. Nun sass ich bereits seit zwei Stunden in meinem Büro und arbeitete die anfallenden Aufgaben ab. Entlang des Gebäudekomplexes zog sich ein viel benutzter Rad- und Fussgängerweg hin. Da sich das Büro im Parterre befand und grosse Fenster sein Eigen nannte, war man den Blicken der Vorbeifahrenden bzw. -gehenden ausgesetzt. Die Mitarbeiter des Bauhofes hatten in der Nacht der Sorgfaltspflicht der Stadt Genüge getan und den Weg vor meinem Fenster durch Aufbringen von einem Salz-Split-Gemisch befahr- und begehbar gemacht.

Unser Firmensitz befand sich in der Nähe einer karitativen Organisation, die Wohnraum für Obdachlose, psychisch erkrankte und Alkoholiker einschliesslich therapeutischer Begleitung zur Verfügung stellte. Deshalb war es normal, dass ab und zu eine Bewohnerin oder ein Bewohner an meine Scheibe klopfte und um ein wenig Geld bettelte. Je mehr es der kalten Jahreszeit entgegen ging, desto höher wurde die Quote der Gestrauchelten, die mich per Fensterklopfen kontaktierte. Mittlerweile war ich dazu übergegangen, dem einen oder anderen mit deutlicher Alkoholfahne eine Spende, mit dem Hinweis auf die Vielzahl der Bitten und dem Hilfsangebot bezüglich menschlicher Grundbedürfnisse der karitativen Organisation eine Strasse weiter, zu verweigern.

Gerade hatte ich das Fenster geöffnet, um mit ein wenig Frischluft die Morgenmüdigkeit vertreiben zu lassen, da hörte ich ein schlurfendes, langsam näherkommendes Geräusch auf dem Weg vor dem Fenster. Vor meinem PC sitzend, konnte ich aus den Augenwinkeln einen Mann in meinem Alter erblicken, der in diesem Moment auf seinem Rollator Platz nahm. Sie kennen sicher dieses Gefühl, wenn man bemerkt, dass man gemustert wird. Ich blickte hoch. «Guten Morgen», rief der Mann fröhlich und winkte zusätzlich noch mit hoch erhobenem Arm in meine Richtung. Ich antwortete genauso nett. Der Mann stand auf und bewegte sich schwerfällig, ein Bein nachziehend, auf das geöffnete Fenster zu. «Sie scheinen ja ein richtig sympathischer Mensch zu sein. Ich heisse Michael, kannst Du zu mir sagen», meinte er und reichte mir seine Hand durch das Fenster. Es war eine sehr verkrüppelte Hand, an der mehrere Finger fehlten. Ich gab ihm die Hand und nannte ihm meinen Vornamen und bat ihn ebenfalls, mich zu duzen.

«Ja, so sieht das aus, wenn man Jahre lang dem Alkohol verfallen war. Der war auch schuld an meinem Unfall, welcher mich so zugerichtet hat, aber seit langem schon trinke ich keinen Tropfen mehr.» Das glaubte ich ihm auch aufgrund der fehlenden Alkoholfahne aufs Wort. «Trotzdem», fuhr er fort, «traue ich mich sie zu fragen, ob sie vielleicht fünfzig Cent für mich hätten, ich bin völlig abgebrannt diesen Monat und habe einfach ein wenig über meine Verhältnisse gelebt.» Was bedeutete wohl für diesen Menschen «über die Verhältnisse gelebt», schoss es mir – bereits sicher, ihm ein wenig Geld zu geben – durch den Kopf. Wie weit unten musste man angekommen sein, um sich zu trauen, andere Menschen anzubetteln? «Hör mal, Michael», hörte ich mich sagen, «wenn ich jedem, der hier an mein Fenster kommt, Geld geben würde, dann ginge ein grosser Teil meines Lohnes nur dafür drauf.» Sofort wies mich eine innere Stimme auf meine Übertreibung hin. Hör auf, dich in deinem Gutmenschentum zu suhlen, schien sie mir zuzuflüstern.

Michael antwortete: «Das verstehe ich, das sind bestimmt die Leute aus dem Wohnheim hier um die Ecke, wo ich derzeit auch lebe. Aber versprochen, wenn du mir fünfzig Cent gibst, lass ich dich in Zukunft in Ruhe, ich habe ja nichts von Wert, was ich dir dafür geben könnte.» Ich holte mein Portemonnaie heraus und gab ihm zwei Euro. «Alter, zwei Euro, ich danke dir, du bist ein netter Mensch.»

Er winkte noch einmal und drehte sich mit seinem Rollator – aufgrund seiner schweren Behinderung, sehr schwerfällig – wieder in Richtung des Fahrrad- und Gehweges. Plötzlich hielt er inne. «Halt», sagte er und drehte sich noch einmal in meine Richtung, «ich habe ja doch etwas, was ich dir geben könnte. In der Therapie malen wir Aquarelle. In den nächsten Tagen komme ich vorbei und dann bringe ich dir eines als Dank. Ist ein Bild von Jesus Christus, welches ich gemalt habe, vielleicht gefällt es dir. Bis dann!», sprach er und verschwand langsam in der Ferne. Da rein gar nichts Äusseres auf meinen christlichen Glauben hinwies, war ich völlig verdutzt und sprachlos, und mir fiel sofort mein morgendliches Abschlussgebet ein. Das nannte ich mal eine spontane Antwort. Ohne dass ich es ahnte, war ich Jesus begegnet, ohne dass ich es wirklich erwartete, hatte Gott mein Gebet um Begegnungen erhört.

Zufall?

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