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Unterwegs im winterlichen Wald | (c) Biletskiy/dreamstime

Und wir dürfen auch wieder raus

Raus aus Eintönigkeit und Langeweile
Publiziert: 18.12.2023

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Von Philippe Breitenmoser

Raus aus der Eintönigkeit, aus der Langeweile des Arbeitsalltages, der einen schon so lange nicht mehr reizt … Philippe Breitenmoser machte nach langem Ringen genau diesen Schritt. Und er hat erfahren: Gott ist treu. Er ruft uns in Aufgaben und entlässt uns auch rechtzeitig wieder aus ihnen. In den Höhen und Tiefen sind gute Beraterinnen und Berater wichtig, gerade in den Momenten, wenn man selbst nicht mehr klarsieht. Ein Erlebnisbericht.

Kennst du dieses Gefühl? Du sitzt in einem eher dunklen Raum mit kaltem LED-Licht in einem Grossraumbüro an einem Tisch, welchen du heute Morgen bei Arbeitsantritt spontan wählen musstest, weil dein Lieblingsplatz bereits besetzt ist von einem Arbeitskollegen, den du nur halb so gut kennst, wie du ihn eigentlich gerne kennen würdest. Der Bildschirm leuchtet dir konstant geduldig entgegen, doch zum Schreiben animiert er dich irgendwie so gar nicht. Dein Blick schweift hinaus aus dem Fenster. Stahlblauer Himmel umhüllt die noch letzten weissen Bergspitzen vom vergangenen Winter und der smaragdgrüne Bergsee funkelt in der Morgensonne, als würden klitzekleine Diamanten auf ihm um die Wette tanzen. Das Kuhglockengebimmel der fleissig grasenden, sanften Riesen der Alpen auf der saftigen Wiese macht die Idylle perfekt und du denkst nur noch eines: «ICH WILL RAUS!!!»

Raus aus dieser Eintönigkeit. Weg von diesem Tisch, der mich nicht inspiriert. Raus aus diesem langweiligen Gefängnis des Arbeitsalltages, der mich schon so lange nicht mehr lockt. Anfangs hatte das Kirchenjahr ja noch seinen Reiz mit all den Festtagen und den immer wiederkehrenden Anlässen. Doch mit der Zeit wurde es für mich zu einem Hamsterrad und spätestens, nachdem ich mir zum zehnten Mal überlegen musste, aus welchem Blickwinkel ich die Weihnachts- oder Ostergeschichte denn noch erzählen könnte, wurde es für mich mehr zu einem «Etwas-aus-den-Fingern-Saugen» als zu einem inspirierten Kreativevent.

Dabei hatte alles so gut und irgendwie von einer höheren Macht orchestriert begonnen. 2009 kam wie aus dem Nichts die Anfrage, ob ich mir die Leitung des Ressorts Kirchenmusik als Worship-Pastor in einer Kirche mit rund 1500 Besuchern vorstellen könnte. Es kam für mich so überraschend, weil ich nie in meinem Leben den Wunsch oder gar den Traum hegte, diesen Beruf auszuüben. Doch die Anfrage setzte in mir eine Frage in Bewegung, die ich mir bis anhin noch sehr wenig stellte in meinem Leben, wenn es um die Berufswahl ging: «Was ist, wenn das Gottes Wille ist?» Nach intensiven Gesprächen und Ringen mit Gott und Ehefrau kamen wir gemeinsam zum Schluss: Nein, es ist nicht die Zeit dafür! Wir gehen lieber auf Weltreise. Nach einem halben Jahr während dieser Weltreise erreichte mich die zweite Anfrage für diesen Job. Und wieder stellten wir uns die gleiche Frage, ob das vielleicht doch Gottes Wille sein könnte.

Nach Antworten suchen
Nachdem wir glaubten, von Gott ein JA bekommen zu haben, sagten wir im Herbst 2010 zu. Mit viel Respekt startete ich im Frühling darauf diese Aufgabe, da ich während meiner Ausbildung zum Primarlehrer und später noch zum Lastwagenchauffeur irgendwie nie gelernt hatte, Menschen zu führen, geschweige denn grad 100 Mitarbeitende – allesamt ehrenamtliche Musiker aller Altersgruppen. So war denn bei Amtsantritt eine meiner allerersten Fragen: «Gott, was ist dein Wille für dieses Team? Wo willst du hin mit dieser Kirche, ihrer Musik und ihren Liedern?»

Gott war treu. Er antwortete. Nicht immer sofort, aber eigentlich stets rechtzeitig – auch wenn ich mir häufig kürzere Wartezeiten auf seine Antworten gewünscht hätte. Doch nun, nach fast zwölf Jahren in der Funktion vom Leiter des Worship-Ressorts, war die Luft irgendwie raus und die Leidenschaft wurde immer mehr zu einer Aufgabe, die «Leiden schafft». Ich fühlte mich ausgelaugt, ausvisioniert, ausgepowert und fragte mich, was ich meinem Team denn noch Neues erzählen könnte.

Je länger, umso mehr wurde für mich der Alltag zur Last. Ich schlief nicht mehr gut, spürte einen Druck auf der Brust, hatte Mühe beim tiefen Durchatmen, selbst beim Singen hatte ich nicht mehr das gleiche Volumen. Lachen konnte ich nur noch selten und Freude war nur noch etwas, das ich aus der Vergangenheit kannte – obwohl ich innerlich wusste, dass ich mit meiner wunderbaren Ehefrau und Familie, allen meinen guten Freunden, einer sicheren Arbeitsstelle und genügend finanziellen Möglichkeiten allen Grund zur Freude gehabt hätte. Doch was sollte ich machen, ich habe sie einfach nicht mehr gespürt.

Ich musste da raus. Ich wusste nicht wie – aber raus!
Durfte ich denn das überhaupt? Einfach raus? Schliesslich war es doch Gottes Wille, dass ich diese Arbeit angetreten hatte. Darf ich dann einfach selbst entscheiden, dass ich aufhöre? Natürlich suchte ich Gottes Antwort in dieser Frage. Doch Gott schwieg seit über einem halben Jahr und währenddessen ging es mir immer schlechter. Der Gang zur Arbeit wurde zu einer Tortur und die Arbeitstage wurden gefühlt immer länger und zäher. Nichts machte mir mehr Freude. Nicht einmal mehr die Freizeit oder meine einst geliebten Hobbys, alles wurde irgendwie dunkel und leer … Dann plötzlich ein Lichtblick. Eines Morgens in meiner ganz persönlichen Zeit mit Gott und seinem Wort, der Bibel, kam mir ein Gedanke: «Wie wäre es, wenn ich einfach wieder Lastwagen fahren könnte?» Zugegeben, ich hatte diesen Gedanken in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder mal während herausfordernden Zeiten oder Projekten, aber es blieb immer eine Gedankenspielerei. Schliesslich galt es ja auch, eine sechsköpfige Familie zu versorgen und die Flexibilität bezüglich meiner Arbeitszeiten war absolut Gold wert und wichtig, um die Highlights unserer Kinder im Alltag miterleben zu können.

Die Wende
Darf ich, darf ich nicht, kann ich, kann ich nicht … Die Frage quälte mich fortan. So nahm ich eines Tages professionelle Hilfe in Form eines Coaches und einer Psychiaterin in Anspruch. Medikamente linderten zwar den Leidensdruck, konnten ihn aber nicht ganz nehmen. Der Coach stellte gute Fragen und ich kam aufgrund meiner Antworten langsam, aber sicher zum Schluss, dass es durchaus okay ist, nach zwölf Jahren weiterzuziehen. So schrieb ich im Herbst 2022 eine E-Mail an meinen ehemaligen Arbeitsgeber im LKW-Geschäft mit der Frage, ob es möglicherweise eine offene Stelle gäbe für mich als Chauffeur. Eine automatische Antwort aufgrund einer Ferienabsenz liess bei mir die Hoffnungen auf eine positive Antwort und einem Ausweg aus meiner Situation schwinden. Doch schon am nächsten Tag hatte ich eine E-Mail meines ehemaligen Chefs im Postfach. Er schrieb, dass sie derzeit tatsächlich jemanden suchen würden und dass sich die Verantwortlichen bei mir melden würden. Noch am selben Tag kam der Anruf und nach einem kurzen Gespräch war klar, dass wir uns so bald wie möglich treffen und die Formalitäten besprechen wollten.

Vorfreude kam in mir auf. Konnte es sein, dass dies der Ausweg war aus meiner aktuellen und sehr herausfordernden Aufgabe? Das Gespräch verlief sehr zufriedenstellend für beide Seiten und so entschied ich mich nach Rücksprache mit meiner Ehefrau, Familie und Freunden, dass dies der richtige Schritt sei. Der nächste Schritt war dann weniger leicht: Das Informieren meiner Arbeitskolleginnen und -kollegen und Vorgesetzten würde mich viel kosten, da sie in all diesen Jahren zu lieben Freunden geworden sind. Das Gefühl, dass ich sie wohl nun im Stich lassen würde, liess mich nicht los. Doch in den folgenden vertrauensvollen Gesprächen kam mir viel Wohlwollen und Verständnis entgegen. Es lag allen sehr viel daran, dass es mir wieder besser gehen darf. So kündete ich – und es standen meine letzten drei Monate als Worship-Pastor an. Keine leichte Aufgabe, denn ich musste meinen liebgewonnen Bandleitenden und Worshipern erklären, dass es in dem Moment noch keine Anschlusslösung für die Leitung des Ressorts gab.

Alles in Gottes Hände legen
Wie schön wäre es gewesen, bereits eine Person zu haben, die ich hätte nachziehen können! Die einfach in meine Fussstapfen hätte treten können. Doch Gott sprach zu mir durch sein Wort, dass dies nicht in meiner Verantwortung läge, sondern in seiner. ER hat bisher immer dafür gesorgt, dass jemand diesen Bereich leitete. Das tat gut. Diese Worte nahmen mir den letzten Druck und ich begann, wieder freier zu atmen, besser zu schlafen, und die Hoffnung, dass alles gut kommt, wuchs von Tag zu Tag.

Dann kam der letzte Arbeitstag. Zufälligerweise war an diesem Abend ein Teamevent angesagt, bei dem sich alle Worshiper versammelten und ich noch einmal die Möglichkeit hatte, zu allen zu sprechen und DANKE zu sagen. Es war mir – und ist mir noch – eine grosse Ehre, mit all diesen Menschen über so viele Jahre ein grosses Stück gemeinsamen Weg gegangen zu sein. Ich bin sehr dankbar für alles, was ich mit ihnen in diesen zwölf Jahren erleben durfte.

Was ich nie zu hoffen wagte, wurde innerhalb einer Woche Realität: Ich war raus aus der Funktion des Worship- Pastors und bereits wieder im nächsten Job als Chauffeur. Der Druck war vollends weg, die Lebensfreude wieder da und der Schlaf endlich wieder erholsam und tief.

Gott ist treu!
Rückblickend bin ich dankbar für diese Erfahrung und bin sehr daran gewachsen. Ich habe erfahren, dass Gott uns in Aufgaben hineinruft und uns auch rechtzeitig wieder aus ihnen entlässt. Ein Ringen darum lohnt sich. In den Höhen und Tiefen habe ich gute Beraterinnen und Berater als wichtig Begleiterinnen und Helfer empfunden, besonders in den Momenten, in denen man selbst nicht mehr klarsieht.

 

Zur Person
Philippe (Pipo) Breitenmoser ist seit 17 Jahren mit seiner Traumfrau Jeruscha verheiratet und hat mit ihr vier Kinder. Nach zwölf Jahren Leitung des Worship-Ressorts der GVC Winterthur arbeitet er zurzeit als Heizölchauffeur. Sein Herz schlägt für tiefe, echte und langanhaltende Beziehungen.
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