Manchmal bin ich ein «Wiederholungstäter». Es fehlt mir auf den ersten Blick nichts: aufregender Beruf, familiärer Zusammenhalt, konnte gesundheitliche Krisen bewältigen. Und dann passiert es wieder. Ich höre fasziniert einem Referenten zu und denke: «So müsste ich formulieren können.» Dann lese ich einen Artikel und denke: «Grandios, kreativer Einstieg. Das könnte ich nie.» Ein Teil von mir ist angesprochen und inspiriert. Aber dann lande ich im Defizit. Zwischen Bewunderung und Selbstabwertung.
Auch das Durchscrollen der Instagram-Feeds kann eine Falle sein. Hochglanzbilder, strahlende Gesichter, Lebensfreude pur. – Bei den anderen.
Auf der Abwärtsspirale begegne ich noch bei schönstem Wetter einem fast Gleichaltrigen auf seiner Jogging-Runde. Kein Gramm Fett. Durchtrainiert. So wäre ich gerne. Es fällt mir tatsächlich immer noch schwer, mich nicht mit anderen zu vergleichen. Obwohl ich ganz viele Gründe hätte, es nicht zu tun. Ich weiss um die Selbstoptimierung mit Filter und Photoshop und um die verzerrte Wahrnehmung meiner Kopfbilder. Und doch …
Für diese Bilder und den Text meiner Gedanken bin ich nicht verantwortlich. Aber ich habe Verantwortung, wie ich damit umgehe. In Beziehung mit Gott darf auch diese Seite sein. Ich gestatte es mir, Wünsche zu Ende zu denken. Um was geht es wirklich? Was steckt hinter einer Sehnsucht? Welches Bedürfnis meldet sich?
Ich erlaube mir, Gefühle zuzulassen und nicht wieder zu bewerten. In diesen Momenten nimmt Dankbarkeit wieder Raum ein. «Wer dankbar ist, weiss zu schätzen, was er hat», lese ich an einer Büro-Wand. Kein billiger Spruch. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt auf dem, was schon da ist. Und ich merke: Ich kann mich nicht gleichzeitig auf das konzentrieren, was ich habe, und auf das, was fehlt. Der Mangel tritt in den Hintergrund. Wir können nicht gleichzeitig an zwei Orten sein. Zwei Leben leben. Auf zwei Partys tanzen.
Die vielen Möglichkeiten, die wir haben, machen es uns schwer, zu geniessen und im Augenblick zu sein. Bei sich selbst – und nicht immer bei den anderen zu sein. Dabei können wir nicht alles haben. Jede Lebensphase hat eigene Chancen, Risiken und Grenzen. Die Endlichkeit des Lebens führt uns das eindrücklich vor Augen. Begrenzungen sind schmerzhaft, aber sie gehören zum Leben. In einem Sterbehospiz habe ich das aus nächster Nähe mal beobachten können. Dort wurde geweint, geschwiegen, aber auch gelacht. «Nicht dem Leben mehr Tage – sondern den Tagen mehr Leben geben», lautet das Motto der Hospiz-Bewegung.
Viel mehr auf den Punkt als der Apostel Paulus kann ich es nicht formulieren: «Schliesslich habe ich gelernt, in jeder Lebenslage zurechtzukommen. Ob ich nun wenig oder viel habe, beides ist mir durchaus vertraut, und so kann ich mit beidem fertig werden: Ich kann satt sein und hungern. Ich kann Mangel leiden und Überfluss haben. Alles kann ich durch Christus, der mir Kraft und Stärke gibt.» (Philipper 4,11–13)
Es geht um weit mehr als Selbstoptimierung, Erfüllung von To-do-Liste, Zustimmung durch Follower, Tricks und Methoden. Es geht um die Beziehung zu dem, der das Leben ist.