Während ich noch über die Antwort nachgrüble, die er mir gibt – «Sorge für meine Lämmer!» –, fragt er mich zum zweiten Mal: «Simon, Sohn von Johannes, liebst du mich?» Wieder antworte ich: «Ja, Herr, du weisst, dass ich dich liebe.» Und erneut gibt er mir einen kryptischen Auftrag: «Leite meine Schafe!»
Ich kann es nicht fassen, dass Jesus mir keine Vorwürfe macht, keine Erwartungen formuliert, mich nicht mit Forderungen eindeckt. Hat er mir meine Untreue und mein Versagen bedingungslos vergeben? Traut er mir tatsächlich zu, dass ich in Zukunft – ja was eigentlich? Was heisst das, «meine Lämmer weiden» und «meine Schafe leiten»? Ich entwerfe schon Zukunftspläne: Ich muss bestimmt, ich sollte vielleicht, ich werde sicher ...
In meine Überlegungen platzt Jesus mit seiner dritten Frage hinein: «Simon, Sohnvon Johannes, liebst du mich?» Warum noch einmal dieselbe Frage, Herr? Glaubst du mir nicht? Willst du mich gar mit dem dreimaligen «Liebst du mich?» durch die Blume daran erinnern, dass ich dich dreimal verleugnet habe? Dabei habe ich dich nie so kennengelernt, dass du Salz in Wunden streust.
Oder will Jesus mir und all den anderen, die am Feuer dabeisitzen und gebannt zuhören, eine ganz andere unvergessliche Lektion erteilen? Will er mir sagen, dass meine Liebe zu ihm wichtiger ist als alles, was ich je für ihn tun kann? Dass er von mir nicht in erster Linie Leistungen erwartet, Einsatz, Dienstbereitschaft, Aufopferung, Verzicht und anderes, was bei Menschen Bewunderung und Lob einbringt? Will er mir, dem «Mehr als-Typen», sagen: «Komm, Simon, lass uns gemeinsam durchs Leben gehen. Freu dich am Leben mit mir, wie ich mich am Leben mit dir freue. Das ist das Entscheidende. Ich liebe dich bedingungslos. Du kannst und musst nichts tun, damit ich dich mehr liebe. Und du kannst meine Liebe durch nichts verspielen. Und von dir wünsche ich mir nichts anderes, als dass du mich auch liebst. Wenn du voll Tatendrang bist und aus Liebe zu mir für mich die Welt veränderst – wunderbar! Aber unsere Liebe hält uns auch dann zusammen, wenn du einmal alt und schwach bist oder aus anderen Gründen nicht oder nicht mehr aktiv sein kannst.»
«Simon, liebst du mich?» – «Herr, du weisst alles, du weisst auch, dass ich dich liebe!» Damit ist das Entscheidende zwischen uns gesagt. Das reicht für ein ganzes Leben.