Von Daniel Meister
Missbrauch. Dieses Schlagwort ist in den Medien oft ein enger Begleiter der römisch-katholischen Kirche. Die Austritte schnellen in die Höhe. In der Wahrnehmung vieler Menschen ist die katholische Kirche längst zu einer Skandalkirche geworden. Für Journalist Tobias Haberl greift dieses Urteil jedoch zu kurz. Bei Weitem.
Er rechnete mit einem Shitstorm – und erntete Lorbeeren. Als Tobias Haberl eines Morgens im April 2023 seine Mails checkt, staunt er nicht schlecht. Rund hundert neue Nachrichten. Bis Ende Woche sogar über fünfhundert. Fast ausschliesslich positive Reaktionen auf sein provokatives Essay mit dem Titel «Unter Heiden». Darin outet er sich richtiggehend – als gläubiger Christ und auch als Verteidiger der katholischen Kirche. Hat Haberl mit seinem Text einen verloren geglaubten Puls der Gesellschaft getroffen? Die grosse Resonanz ermutigt ihn, daraus ein Buch zu machen.
Gesellschaftsdienste versus Skandal-Image
Der für sein Essay preisgekrönte Münchner Journalist prangert darin sein Umfeld an. Er wohne in einem «gentrifizierten Bullerbü-Viertel» und arbeite bei einer linksliberalen Zeitung. Als katholischer Christ fühle er sich geradewegs umzingelt von Menschen, die entweder gar nicht oder wenn, dann verächtlich über die Kirche redeten. War es früher doch das Normalste der Welt, katholisch zu sein, erhalte man man heute ungläubige, ja gar angewiderte Blicke, wenn man erkläre, dass man am Sonntag leider nicht ins neue Café zum Brunch kommen könne, weil einem die Heilige Messe wichtiger sei.
Haberl zeigt Verständnis für alle, die sich aufgrund der unzähligen Missbrauchsfälle von der Kirche abwenden. Er bricht aber eine Lanze für die «allermeisten Geistlichen, die grundanständige oder sogar faszinierende Menschen sind. Von deren Engagement eine ganze Gesellschaft profitiert, ohne es überhaupt zu bemerken. Nur weil Priester eher selten auf Instagram auftauchen, heisst das nicht, dass ihr Engagement keine positiven Auswirkungen hat.» Das sitzt.
Digitale Erfüllung als Ersatz für Erlösung?
Haberl hinterfragt unsere Gesellschaft, die sich immer mehr von Gott loslöse. Er fordert seine Mitmenschen auf, nicht einer grossen Täuschung zu erliegen. Diese heisst: je digitaler, desto freier. «Der Mensch lässt sich von zweifelhaften Tech-Firmen in den intimsten Bereich seines Lebens hineinreden. Es ist keine Freiheit, sondern ein ständiges Wechseln seiner Abhängigkeiten», entgegnet er jenen, die von schnellen Smartphones schwärmen, aber schlecht über seinen Glauben reden. Ohne sich je richtig damit auseinandergesetzt zu haben. Google gebe zwar auf jede Frage eine Antwort – aber keinen Halt im Leben. Tobias Haberl zelebriert den Gegentrend. Er liebt es, sich immer wieder völlig aus dem Alltag heraus zu stehlen. In die Kirche zu gehen. Und dort den Ort der Stille zu geniessen. Sei es bei der Heiligen Messe – oder auch ganz allein. Eine Kerze anzünden. Beten. Auch mal auf den Knien. «Ich möchte nicht temporär zufriedengestellt, ich möchte erlöst werden.»
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