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Ausrichtung auf Gott | (c) dreamstime

Gott ist gut – mehr weiss ich nicht

Von Fragen und ausbleibenden Antworten
Publiziert: 23.08.2022

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Von Marcus Watta

Es liegt wohl an meinem Beruf. Ich bin Maler und Musiker – und ich bin Pädagoge. Fragen sind für mich besser als Antworten. Was offen bleibt, kann sich fortsetzen. Was beantwortet ist, scheint abgeschlossen. Gewissheiten machen träge. Unsicherheiten halten das Lernen im Gange. Was ich nicht verstehe, ist ja überhaupt das, was mein Interesse weckt. In den Bildern ebenso wie in der Musik. Solches, was ich durchschaue, wird vorhersehbar und langweilt früher oder später. Es ist ja gerade das, was ich nicht kapiere, das meine Aufmerksamkeit erhält und aufrecht zu halten vermag.

Ist es nicht in sämtlichen Bereichen so? Wer jemals denkt, nur als Beispiel, er habe seine Partnerin oder seinen Partner nun endgültig verstanden, unterliegt entweder einem argen Irrtum oder ist ein armer Tropf. Dass es ungezählte, teils auch schmerzhafte offene Fragen gibt, die zu beantworten kaum möglich scheinen – oder die zu beantworten jede Generation von Neuem und jeder Mensch persönlich gefordert ist: Könnte es sich vielleicht sogar als ein Vorteil erweisen? Wir werden später darauf zurückkommen. Natürlich haben wir die Aufgabe, Antworten zu suchen. Wer Kinder hat, weiss das. Sie entlassen uns nicht aus dieser Pflicht, denn sie stellen uns Eltern solche Fragen, sobald sie in ihren Horizont rücken.

Wenn Antworten nur Furnier sind, bemerken Kinder das sofort. Sie durchschauen uns Erwachsene bestens, sind geschickte Beobachter, ohne es uns so ganz spüren zu lassen. Sie blicken wie aus den Augenwinkeln und vorübergehend denken sie sich ihren Teil. Irgendwann, darauf ist Verlass, folgt dann die nächste, noch tiefer schürfende Frage. So ist Leben, wenn es wächst und weiter gedeiht, und es bleibt ein Glücksfall, entgegen allen Härten, die wir spüren; je älter wir werden, desto mehr.

Ja, es mag wirklich mit dem Alter zu tun haben, vielleicht geht es aber jungen Menschen in Wahrheit auch so: Ich fühle immer einen Grund, gelinde gesagt, um sowohl betrübt als auch guter Dinge zu sein. Tatsächlich sehe, spüre, habe ich permanent einen Anlass zur Verzweiflung einerseits und zum Glücklichsein anderseits. Die Lasten, das Gute, die Höhen und die Tiefen im Leben sind für mich mit den Jahren prägnanter geworden. Auf welchem Feld meiner Emotion verweile ich? Oder ganz anders gefragt: Was gelingt es mir auszublenden, um denn überhaupt «leben» zu können?

Der Kunstschaffende in mir neigt schon immer zu den Tiefen, zu den Abgründen. Künstler sind häufig wie Schatzsucher in einem Stollen der Seele. Richtig spannend wird es erst an den dunklen Enden. Wir suchen Intensität und die hat mit Brüchen zu tun. Ich weiss, das klingt nicht allzu erlöst, aber es stimmt eben. Die gesamte Filmwelt basiert darauf. Zumindest der erfolgreiche Teil davon, ob mit oder ohne Happy End. Wie schwer ist es, im realen Leben aber solche Brüche zu überwinden oder «es» mal gut sein zu lassen? Unsereins beisst sich in Schwächen und Fehlern fest, an dem einzigen falsch gespielten Ton, statt sich an all dem restlichen Wohlklang zu laben. Die Zunge sucht immer den Zahn, der weh tut.

Als Familienmann möchte ich mir das allerdings so nicht leisten. Haben meine Kinder nicht einen Anspruch, ein Recht auf mich als einen, der «präsent» ist? Ich meine damit nicht Anwesenheit, sondern eine innere Präsenz – ein lichtes Ansinnen (!). Als Vater möchte ich schliesslich meine Kinder lehren, dem Leben die besten Seiten abzugewinnen, Widerständen zu trotzen, ohne Furcht und mit Vertrauen in ihre Zukunft hineinzuwachsen. Und wenn sie doch kommt, die Furcht, sie zu überwinden. Kinder sind sensibel gegenüber Ungerechtigkeiten, UnMenehrlichkeiten und faulen Kompromissen. Den unbestechlichen Blick müssen sie nicht erst erlernen. Vor Kindern stehen wir bloss. Was sie aber von uns lernen sollen, ist, den Widersprüchlichkeiten und Unwegbarkeiten zu trotzen, nicht an ihnen zu verzweifeln, sondern das zu verfolgen, wovon sie überzeugt sind. Und ihren wunderbaren, unbestechlichen Blick nicht irgendwann zu verlieren.

Neben ihrem beharrlichen Fragen haben Kinder aber noch eine ganz andere vorbildliche Eigenschaft. Das ist nur scheinbar ein Paradox, eigentlich aber etwas Komplementäres zu ihren vielen Fragen, den beantwortbaren sowie den vorläufig offenen: Dinge akzeptieren zu können, d.h. sich etwas genügen zu lassen, was der Fall ist. Das ist ein Ausdruck ihres buchstäblichen, kindlichen Vertrauens. Wenn Jesus ein solches Kind den Erwachsenen um sich herum als Beispiel gibt und sagt, wer das Reich Gottes nicht annehme wie ein Kind, der finde keinen Zugang, dann, so glaube ich, meint er diese Gestalt ihres Vertrauens.

Wahrlich, ich sage euch: Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. (Lukas 18,17)

Das Reich Gottes ist zu gross, um es zu überblicken, und zu «anders», um es zu verstehen. Unsere Fragen danach bleiben zum grössten Teil unbeantwortet. Was wir wissen müssen, das ist uns gesagt. Jesus formuliert die Konstitution dieses Reiches in der Bergpredigt. Es ist eine der schönsten Stellen im Neuen Testament, einer der tröstlichsten Momente, die uns überliefert sind. Beim Lesen der Passage fällt es uns nicht schwer, den Ort zu imaginieren, das müde, geschundene, staubbedeckte Volk, sich selbst unter ihm zu wähnen, Jesus von Weitem zu sehen und ihn geradezu rufen zu hören: Wie er diese Paradoxien festlegt, eine nach der anderen. Wir lesen sie in Matthäus 5 Vers für Vers. Schauen wir aber in die Welt, auf alle Verrohung und die Rückkehr giftiger Ideologien sowie des Totalitären, dann wird sich jeder fragen: Kann das denn jemals wahr werden, was Jesus verspricht, zum Beispiel, dass die Sanftmütigen das Erdreich besitzen? Wir sehen das Gegenteil durch die komplette Geschichte bis auf den heutigen Tag. Dem entgegenzuglauben und zu vertrauen, es werde einmal anders, als es ist, Jesu Wort werde sich durchsetzen, die Sanftmütigen werden dereinst empfangen, was die Gewalttätigen besetzen … Wie gelingt uns das?

Jesu Worte hören, der Konstitution seines Reiches vertrauen, dieses Reich empfangen wie ein Kind, dazu braucht es ein grosses «Trotzdem» im erwachsenen Herzen. Ich denke dabei an eine meiner liebsten Filmszenen von Woody Allen. Eine New Yorker Grossfamilie sitzt zu Tisch und feiert den Schabbat. Die Verwandtschaft ist offensichtlich sehr verschieden gläubig und teils ganz unterschiedlicher Meinung. Es entbrennt bald eine leidenschaftliche Diskussion über die Erfahrungen und Leiden des 20. Jahrhunderts. Einige Worte des Rabbis rufen den Protest seiner Schwester hervor, die ihn provozierend fragt: «Willst du etwa sagen, dass du Gott über die Wahrheit stellst?» Er, Rabbi Saul, antwortet: «Wenn nötig werde ich Gott stets gegenüber der Wahrheit bevorzugen.» Welch ein Satz! Die Frau des Rabbis fügt noch halb erklärend, halb beschwichtigend hinzu: «Sauls Glaube ist eine Gabe.»

Mag sein; mir erscheint sein Glaube aber auch wie eine grosse Liebe. Gott gegenüber der Wahrheit, gegenüber dem Sichtbefund und allen Erfahrungen zu bevorzugen … logisch denkenden, aufrichtig wahrheitsliebenden Menschen kommt diese Aussage vielleicht absurd vor, manchen auch wie blanker Hohn. Aber mich rührt dieser Satz vom Rabbi, vorbei an jener Instanz in mir, welche gerne alles verstehen möchte; er rührt mich zutiefst an einer Stelle, die ich sonst gar nicht so oft spüre. Wie einer jener in tiefer Schicht verlaufenden Muskeln, an die man so schwer herankommt, die sich nur mit viel Aufmerksamkeit und gewisser Übung aktivieren lassen.

Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen. (Sprüche 3,5-6)

Fragen und Zweifel, von denen bereits der Autor dieses Verses aus den Sprüchen weiss und denen gegenüber er diesen reifen Ratschlag bereithält, sind keine Bedrohung. Es sind meine Verbündeten. Sie
leiten mich nämlich dorthin, mein Fassungsvermögen und meine Wahrnehmung nicht als das Mass der Dinge zu erachten, sondern sie dem Höchsten unterzuordnen. Ich schreibe es mit diesem unmodernen, meinen eigenen Stolz testenden Verb: unterordnen. Ich beginne also sozusagen jenen Muskel zu spüren, an den ich sonst so schwer herankomme. Das Herz ist auch ein Muskel. Die Haltung vom Rabbi in Allens Film, allem anderen gegenüber stets Gott zu bevorzugen, ja, sogar gegenüber dem, was wir Wahrheit nennen, wirkt auf mich zunächst herausfordernd, dann entwaffnend, schliesslich einnehmend. Ich merke, es ist auch für mich eine heilsame Haltung, die ich mit meinem Herzmuskel immer wieder einnehmen möchte. Franz Jalics schreibt es so: «Gott ist ein Geheimnis und wir dürfen nur mit grosser Ehrfurcht über ihn sprechen. Was auch immer wir von Gott denken, es muss uns klar bleiben, dass wir Gott mit unserem Verstand nie ergründen können. Wir können ihn mit unserem Denken nie ganz erfassen. Nur die Liebe und die stille Anbetung erreichen ihn.» So auf Seite 13 in «Der kontemplative Weg».

Dass die besten Antworten mitunter eher intuitiv als auf dem Weg der Logik zu finden sind und dass die schiere Annäherung an eine Antwort genug sein kann, solches ist für mich in der Arbeit mit Kunstwerken reinste Gewohnheit. Ich erachte es als einen Teil des Vergnügens im Umgang mit den Künsten. Und es ist, das liegt auf der Hand, eine ergiebige Übung auch für den Umgang mit ganz anderen Dingen. Wenn wir die Unklarheiten und Leerstellen einerseits anzuschauen wagen, ja, uns gewisse Fragen immer wieder zu stellen trauen, und zugleich doch sagen können: «Gott … Du allein bist Gott, und ich bin es nicht. Gott … Du weisst alles, und das soll mir genügen», dann gelangen wir an eine Art Wegkreuzung, in der sich ganz vorsichtig das Kontemplative anbietet, ein Weg in die christliche Mystik. Mögen wir vor dem doch nicht zurückweichen, stattdessen lieber sämtliche Klischees beiseite tun, die wir mit dieser Bezeichnung verbinden, und uns – sowie einander – diesen Weg zutrauen. Mir scheint, er sei konsequent.

 

Zur Person

Marcus Watta ist Musiker, bildender Künstler und Leiter des Bereichs Lobpreis und Anbetung in der Stiftung Schleife, Winterthur. Er ist verheiratet mit Rebecca, Sängerin; gemeinsam haben sie vier Kinder. watta.de

 

CD: «BACH» Malerei und Gitarre von Marcus Watta

Marcus Watta ist mit dieser Paarung von Musik und Bild ein wahrer Sinnesgenuss gelungen. Die nuancierte, farbliche Abstimmung und die feine Struktur der quadratisch gehaltenen Bilder wirken in ihrer Schlichtheit als ein anregendes Gegenüber zu den ausgewählten Präludien, Fugen, dem Andante in C- Dur und dem Allegro in D- Dur von Johann Sebstian Bach. Man spürt den auf der Gitarre künstlerisch fein interpretierten Werken an, dass der Glanz dieser einmaligen Musik aus einem anbetenden Herzen kommt und auch wieder dahin führt. Soli Deo Gloria!

Mehr Infos und Bestellung unter: schleifeverlag.ch (CHF 22.– exkl. Versand)

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