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Vertrauenssache

Woher kommt das Urvertrauen?
Publiziert: 14.02.2022

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Von Thomas Härry

In diesen Tagen bete ich schon fast verzweifelt für einen jungen Freund, der vor drei Monaten wie aus dem Nichts schwer krank wurde. Ermutigt durch die unzähligen Einladungen der Bibel zum erwartungsvollen Gebet (*1) flehe ich um Gesundheit für Michi. Und ja: Ich will dabei Gott vertrauen.

Mein Vertrauensschaden

Wie ich das mit dem Vertrauen verstehen soll, war mir lange nicht so richtig klar. Weil ich seit jeher einen kleinen Vertrauensschaden habe (für andere Menschen konnte ich grossartig vertrauen, ging es um mich selbst, flutschte es mir – Schwupps! – aus dem Herzen), traf ich vor Jahren den Entschluss, der Sache auf den Grund zu gehen. Seit jener Auseinandersetzung, aus der später ein Buch (*2) wurde, hat es sich mir bleibend eingebrannt: Überall dort, wo die Bibel von Glauben spricht, egal ob da ein Substantiv, ein Verb oder ein Adjektiv steht, kann man mit «Vertrauen» übersetzen. Glauben heisst, Gott in allem vertrauen.

Vertrauen – wie oder was?

Ich darf also vertrauensvoll für Michi beten. Für das Ende der Pandemie. Das Ende von Kriegen, Hunger und Ungerechtigkeit. Das tue ich! Doch jetzt kommt die Knacknuss: Welche innere Haltung soll ich dabei einnehmen, so dass mein Vertrauen ausdrückt, was die Bibel damit meint? Nach viel Nachdenken, Grübeln und Bibellesen komme ich zum Schluss: Man kann die Sache mit dem Vertrau- en ganz schön missverstehen. Es gibt ein Zerrbild davon, das uns weit weg führt von dem, was Gott sich beim Vertrauen von uns wünscht. Ihm gegenüber steht ein ganz anderes Bild, eines, das uns in eine ganz andere Richtung führt.

Erwarten, dass Gott es tut

Beginnen wir mit dem Missverständnis. Manche Menschen halten das Festhalten an einer bestimmten Vorstellung, was Gott in einer konkreten Situation tun soll, für Vertrauen. Wie oft habe ich es selbst so verstanden! Ich vertraue also darauf, dass Gott mir diese so sehr gewünschte Arbeitsstelle gibt. Ich gehe davon aus, dass er meine feste Erwartung damit beantwortet, dass er ihr entspricht. Auch den Wunsch nach einer wunderbaren Partnerschaft. Dem Ende einer Krankheit. Bewahrung auf der Reise. Das Ende meiner Geldnot. Die ersehnte Lebenswende im Leben meiner Kinder, Eltern, Nachbarn. Und ja, auch Frieden im Kaukasus, wenn’s möglich ist.

Es geht … um mich

Nun, in vielen Fällen tut Gott genau das. Er erhört solche Gebete. Das ist jedes Mal ein Freudenfest! Aber tut er es, weil ich ihm so sehr vertraute? Eher nicht, denn eigentlich habe ich ihm nicht vertraut; ich habe ihm Vorschriften gemacht. Nicht im Befehlston vermutlich, sondern untersorgfältiger Verwendung des üblichen christlichen Vokabulars. Dennoch: Ich habe ihm meine Vorstellungen und Wünsche unter die Nase gehalten und ihn gebeten, doch bitte danach zu handeln. Nun ist es nicht so, dass unsere Wünsche bei Gott nicht zählen. Nein, er ist der gute Vater und er hat es weit lieber, wenn wir ihm unsere kindlichen Wünsche mitteilen, als dass wir wunschlos, willenlos und gelangweilt vor ihm leben. Wer aber Kinder hat weiss, dass es einen feinen Grat gibt zwischen Wünschen und Trotzen. Und so verstehen wir manchmal unser Vertrauen als eine Art trotzige Einzahlung an Gott, damit er uns gibt, was wir wollen. Dann aber geht es mir weniger um ihn, es geht mir um mich selbst. Noch einmal: Ich sage nicht, dass Gott jedes Mal die Augen rollt und sich verweigert, wenn wir uns gerade um uns selbst drehen. Ach, dafür sind seine Geduld und Liebe für uns viel zu gross! Ich sage nur, dass dies wenig mit Vertrauen ihm gegenüber zu tun hat. Mein Vertrauen richtet sich mehr auf die Erwartung, dass er irgendwann schon einlenkt, wenn ich nicht lockerlasse (*3).

Wenn die Rechnung nicht aufgeht

Welche Folgen hat es, wenn ich vertrauen so verstehe? Falls meine Rechnung aufgeht und das Ersehnte geschieht, bin ich natürlich überglücklich: «Er hat’s getan, Halleluja! Und ich habe ihm dabei so richtig vertraut, dass er es tun wird!» So weit, so gut – abgesehen von der Portion Eigenlob, die hier im Blick auf meine Vertrauenskraft mitschwingt. Was aber, wenn die Sache anders ausgeht als erhofft? Dann bricht womöglich eine Welt zusammen. Dann habe ich gleich drei Probleme: Erstens, die Situation hat sich nicht gelöst, vielleicht sogar verschlimmert. Mein Wunsch bleibt unerfüllt. Zweitens beschleicht mich womöglich das Gefühl: «Gott hat mich sitzengelassen. Er hat mein Gebet nicht erhört, hat mein «Vertrauen» ignoriert. Drittens, ich suche nach Gründen: «Vielleicht war mein Glaube zu schwach. Ich habe zu wenig intensiv vertraut und geglaubt!»

Ich habe also eine mehrfache Frustration zu bewältigen: Die der ungelösten Situation über Gott, der mich nicht erhört hat und über mich selbst, der ich so miserabel vertraut habe. Nicht selten führt diese dreieinige Irritation dazu, dass sich Menschen lautlos von Gott verabschieden.

Vertrauen lernen bei weniger Privilegierten

Mein Eindruck ist, dass das gerade beschriebene Szenario in unseren westlichen Gesellschaften häufiger vorkommt als anderswo. Es geht uns gut. Gott hilft, dass es so bleibt – oder noch besser wird. Geschieht uns etwas Irritierendes, Unerwünschtes, dann kann er doch bewirken, dass der Schrecken bald vorüber geht! Das Problem bei dieser Vorstellung ist nicht, dass wir Erwartungen an Gott haben. Das Problem ist unsere Fixierung auf die Art und Weise, wie er uns helfen soll. Dass wir seine Rolle in unserem Leben so verstehen, dass er alles Schwere von uns fernhält. Bei meinen Aufenthalten in einigen von täglicher Armut betroffenen Ländern habe ich eine erstaunliche Beobachtung gemacht: Viele Menschen dort beten viel leidenschaftlicher als ich, wenn sie in Not geraten. Ihre Not ist ja auch meist viel existentieller als meine. Gleichzeitig gehen viele von ihnen gelassener damit um, wenn nicht eintrifft, wofür sie inbrünstig gebetet haben. Nicht, dass sie das unberührt lässt. Aber ich höre sie dann Dinge sagen wie: «Es tut weh, aber Gott weiss es besser als ich. Er ist Gott, nicht ich.» Ein abgewiesener Asylbewerber aus Nigeria sagte mir bei meinem letzten Besuch in der Ausschaffungshaft mit tränenüberströmtem Gesicht: «I am so sad! But there is no reason to blame God!» – «Ich bin so traurig! Aber es gibt keinen Grund, Gott einen Vorwurf zu machen!»

Loslassen

Das bringt uns zu einer ganz anderen Art des Vertrauens. Ich beschreibe sie gerne als ein «erwartungsvolles Los- lassen bei gleichzeitig entschiedener Hingabe und Ausrichtung auf Gott». Zugegeben, das klingt etwas abstrakt. Was ich sagen will: Echtes Vertrauen drückt sich so aus, dass ich Gott über all denjenigen Lebensumständen Herr sein lasse, die ich nicht steuern oder kontrollieren kann. Dass ich mich und meine damit verbundenen Umstände in seine Hand lege. Natürlich bete ich dennoch konkret. Ich formuliere mit Leidenschaft meine mit einer Situation verbundenen Wünsche. Ich bilde mir aber nicht ein, ich wüsste besser als Gott, was er jetzt zu tun habe. Ich verzichte auf die enggeführte Vorstellung, es gäbe jetzt nur einen Weg, der Segen bringt – den Weg der exakten Erfüllung meines Wunsches. Was für ein kleiner Gott das wäre! Kaum mehr als der kleine Zauberstern im Universum, der um mich, die grosse Sonne kreist.

Um Gott kreisen

Vertrauen heisst, um Gott kreisen. Anbetend, bittend, ja auch flehend, erwartungsvoll. Gleichzeitig öffne ich meine Vorstellungskraft über mein kleines, menschliches Blickfeld hinaus. Ich traue ihm zu, dass er mit mir und meiner Situation ans Ziel kommt – wie immer die Sache ausgeht, die mir Not bereitet. Natürlich werde ich den Schmerz des unerhörten Gebets verarbeiten müssen. Das ist schwer. Aber ich muss deswegen Gott nicht den Laufpass geben oder in Selbstvorwürfen über meinen kleinen Glauben stecken bleiben. Besser ist es, Gott zu bitten, in meine Enttäuschung hineinzukommen und mir zu zeigen, wie ich trotz allem weitergehen kann. Vertrauen heisst: Damit rechnen, dass Gott handelt, egal wie sich mir ein Umstand in diesem Moment präsentiert. Daran klammere ich mich, wenn auch ringend und von Ängsten begleitet – so wie Jesus, als er realisierte, dass sein Weg nicht am Kreuz vorbeiführt, sondern direkt darauf zu (*4).

Sein Glaube trägt meinen

Ein Letztes muss gesagt werden zu diesem Wort über das Glauben und Vertrauen, wie es die Bibel versteht: Eine Dimension des Vertrauens besteht auch darin, sich mit Haut und Haar Christus anzuvertrauen. Glauben heisst auch, nichts weiter zu tun als in Christus zu sein; mich in ihm, seiner Kraft, Gnade, seiner Hingabe und Liebe zu bergen. Zu vertrauen, dass mich seine Treue, sein Glaube trägt, gerade dort, wo mein eigener schwach ist. In der Bibel kann glauben auch mit «treu sein» übersetzt werden. Im Treusein ist Gott ungeschlagen. Ich kann Jesus Christus also vertrauen und mich darauf verlassen, dass er mir treu bleibt. Dass sein Glaube meinen trägt – egal was kommt.

Ich bleibe dran und vertraue weiter

Ich bete also weiter für Michi. Täglich. Manchmal schon fast verzweifelt, weil ich mir so sehr wünsche, dass Gott ihn heilt. Gott kann es, es ist ihm ein Leichtes, ich habe es schon erlebt! Gott will unser Heil, unsere Wiederherstellung. Weil ich sehr davon überzeugt bin, lasse ich nicht locker, auch nicht bei all den anderen Anliegen, die mich und die Welt beschäftigen. Ich rufe meinem Gott all seine damit verbundenen Verheissungen in Erinnerung, obwohl er sie viel besser kennt als ich. Gleichzeitig vertraue ich darauf: Sein Horizont reicht weiter als meiner. Das Eintreffen wie auch das Nichteintreffen des Erhofften ist nicht das Ende dieser Geschichte. Es ist diese Zuversicht, die mir das Dunkel aus der Seele fegt.

1 Matthäus 7,7-11; Johannes 14,13-14 u. v. m.

2 Thomas Härry (6. Aufl. 2019): Voll vertrauen: Erfahren, wie Gott mich trägt. SCM R. Brockhaus. Zurzeit nur als E-Book oder antiquarisch erhältlich.

3 Und ja, auch dafür gibt es Verheissungen in der Bibel (z. B. Lukas 18,1–8). Allerdings ist wohl auch dort nicht gemeint, dass wir Gott zum Erfüllungsgehilfen unserer endlosen Wunschliste machen sollen.

4 Siehe Markus 14,32–36

 

Zur Person

Thomas Härry wohnt bei Aarau. Er ist Dozent am TDS Aarau, einer Höheren Fachschule für Theologie, Diakonie und Soziales, sowie Autor und Berater von Führungskräften. Dafür brennt sein Herz: Menschen, die im Glauben reifen und Leitungspersonen, die sich selbst und andere gut führen.

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