3½ Fragen an Michelle Boss: Mut und Zutrauen

Bist du schöpferisch- kreativ tätig?
Ganz lange hätte ich gesagt: nein. Heute würde ich sagen: ja.

Wie kommt das? Und inwiefern bist du heute kreativ tätig?
Mein Selbstbild war lange, dass ich keine geschickten Hände habe, und deshalb dachte ich: Basteln, Hausdekorieren, Kreativität – das ist nicht meins. Es brauchte eine Freundin, die mir mal gesagt hat: «Du schreibst so viel Texte – du bist extrem kreativ!» Das hat bei mir etwas ausgelöst. Es brauchte Zeit, ist aber irgendwann ins Herz gesunken. Heute finde ich, dass ich schöpferisch und kreativ tätig bin, und zwar mit Worten. Ich habe jetzt zwar nicht mehr so viel Zeit, aber auch Gesprächsführung kann etwas sehr Kreatives haben. Auch ist es heute für mich als Vorgesetzte so, dass ich kreative Prozesse begleite.

Siehst du darin Gottes «Zutrauen» zu dir?
Ich bin in viele meiner beruflichen Tätigkeiten hineingestolpert, könnte man sagen. Ich habe Radio immer geliebt, hatte es mir aber nie zugetraut. Via Stundenlohn-Job bei ERF Medien, Multimediapraktikum und später Teilzeitjob zog es mir dann doch den Ärmel beim Radio rein. Nach dem ersten langen Interview merkte ich: Das gefällt mir. Das liegt mir. Das kann ich. Und so erging’s mir bei vielen Schritten. Auch später bei der Co-Leitung Radio und publizistischen Leitung. Ich spürte, dass es zu mir passt. Und trotzdem habe ich jedes Mal gedacht: Habe ich mich nicht überschätzt? Heute spricht man oft vom «Impostor-Syndrom» – das kenne ich nur zu gut. «Bald merken alle, dass ich das gar nicht kann.»Doch es war immer wieder wertvoll, darauf zurückzukommen, wie alles gelaufen ist – ich glaube, das war nicht Zufall, da haben die Puzzleteile immer zusammengepasst. Das hat Gott mir zugetraut. Sonst hätte Gott nicht alle Türen aufgemacht im richtigen Moment. Und gleichzeitig die zweite Komponente: Ich bin sicher, dass ich mich auch mal überschätzen darf. Für Gott ist es okay, dass ich einfach mal mache. Ich darf mir auch mal etwas Grosses zutrauen – und wenn ich es dann tatsächlich nicht kann, dann nimmt mir das nicht meinen Wert.

Was macht eine Ermutigung mit dir?
Ich denke manchmal, ich sollte meinen Wert nicht so fest abhängig davon machen, was andere Leutes agen – aber es macht trotzdem wahnsinnig viel aus, wenn Menschen an einen glauben. Beispielsweise als Simon Müller und ich die Co-Leitung Radio von unserem Vorgänger Hansjörg Keller übernommen hatten, haben wir relativ schnell das ganze Programm von Radio Life Channel auf den Kopf gestellt. Wir waren überzeugt davon, aber wir wussten: Das könnte auch total in die Hose gehen. Wir hatten beide schlaflose Nächte. Hansjörg kam eines Tages und sagte: «Ich finde es so gut, was ihr da macht. Und es ist genau zum richtigen Zeitpunkt.» Und das von ihm zu hören, der Radio Life Channel als sein Baby hatte, war so wertvoll!