Von Markus Hänni
Markus Hänni leidet an Cystischer Fibrose (CF*), eine unheilbare Krankheit, die sein Leben bestimmt und ihm schon viel Leid, Zweifel und Ängste durchleben liess. Trotzdem möchte er im Leben den Fokus nicht auf seine Krisen legen, sondern auf den Glauben und die Möglichkeiten, die sich durch den Umgang mit Zweifeln eröffnen. Eine belebende Entdeckungsreise durch Glaubensstärke und Überwindung – geprägt durch die persönlichen Erfahrungen mit Leid.
Die Herausforderungen des Lebens können uns oft an den Rand unserer Kräfte bringen. Als jemand, der mit der chronischen Krankheit CF lebt, habe ich Dunkelheit und Leid auf eine Weise erlebt, die viele nicht verstehen können. Mein Leid manifestiert sich in zahlreichen Entbehrungen von vermeintlich Selbstverständlichem, wie im Ringen nach Atem und im schmerzhaften Abschiednehmen von Freunden. Das Wort «Leid» verwende ich im Bewusstsein, dass es Menschen gibt, die es viel härter haben als ich, deren Leiden ich nicht einmal in meinen schlimmsten Albträumen annähernd nachvollziehen könnte.
Die CF führte dazu, dass ich viel Zeit im Krankenhaus verbrachte. Diese Erfahrung hat mir klargemacht, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, am Leben teilzuhaben. Während meiner Zeit im Krankenhaus fühlte es sich oft an, als stünde ich auf dem Pannenstreifen des Lebens, während andere scheinbar mühelos an mir vorbeizogen, ihr Fahrtwind quälend spürbar. Doch mit der Zeit erkannte ich die verborgenen Vorteile dieses vermeintlichen Stillstands. Es wurde mir klar, wie wertvoll es unter anderem ist, ortsunabhängig sein zu können und die «Ruhe» des kahlen Patientenzimmers für meine eigenen Gedanken und Kreativität zu nutzen. An einem einfachen Esstischlein, ohne jeglichen Schnickschnack wie eine Tischlampe im Vintage-Stil oder einen Designerstuhl, fand ich den Raum, um zu schreiben und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das Prinzip «weniger ist mehr» erwies sich als befreiend und lehrte mich, mich auf das Wesentliche zu fokussieren. Die Zeit, die ich alleine verbrachte, ermöglichte es mir, tiefgründig nachzudenken und zu reflektieren, Energie zu tanken und geistige Kreativität zu entfalten. Bis heute schaffe ich mir solche Momente der Ruhe und Besinnung und entfliehe dem täglichen Stress und den Ablenkungen des Konsums.
Jeden Abend, wenn ich den Tag Revue passieren lasse, erfüllt mich ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Wenn ich den Tag hindurch aktiv sein konnte, bedeutet das, dass meine Gesundheit ausreichte, um produktiv zu sein und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Aus meinen Erfahrungen heraus weiss ich, wie wertvoll und eben nicht selbstverständlich dies ist. Dieses Bewusstsein unterstreicht die Bedeutung von Gesundheit, die oft als selbstverständlich angesehen und daher unterschätzt wird. Allerdings habe ich auch erkannt, dass wir uns oft zu stark durch unsere Gesundheit definieren lassen. Faktoren wie unser Wertesystem oder das Streben nach Perfektion beeinflussen uns dabei. Ironischerweise sind es jedoch gerade unsere Schwächen, die uns als Menschen ausmachen und uns Stärke verleihen.
Obwohl meine Krankheit meinen Körper schwächt, hat sie meine zwischenmenschlichen Beziehungen gestärkt. Unter diesem Aspekt erscheint die gängige Annahme, dass «Gesundheit das Wertvollste ist», in einem anderen Licht. Warum sind Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten oft glücklicher? Liegt es daran, dass das Bewusstsein für die eigene Gesundheit oft fehlt? Dankbarkeit und das Überdenken von ethischen und moralischen Massstäben sind hier mitentscheidend. Vielleicht ist es wertvoller, eine Vision im Leben sowie Frieden und Freude zu haben, als gesund zu sein und ein Leben ohne Freude und Frieden zu führen.
Ich möchte den Fokus nicht auf das Durchleben meiner Krisen legen, die oft von Krankheit, Ängsten und Perspektivenlosigkeit gezeichnet waren. Stattdessen möchte ich den Blick auf unseren «hilfsbedürftigen» Glauben richten und die Möglichkeiten erkunden, die sich durch unser Zweifeln eröffnen.
Sich mutig den eigenen Zweifeln stellen
Zweifel ist ein zentrales Thema, das in unserer leistungsorientierten und nach Selbstoptimierung strebenden Gesellschaft oft zu kurz kommt. Tatsächlich kann Zweifel sowohl lebensrettend als auch heilsam sein. Es wäre ein Fehler, ihn einfach zu verdrängen oder aufgrund falscher Hemmungen stillschweigend mittragen zu müssen. Jede und jeder von uns ist dazu aufgerufen, sich mit den eigenen Zweifeln auseinanderzusetzen und sie gegebenenfalls auch in die Schranken zu weisen, um ihnen nicht die Hauptrolle im Leben zu überlassen.
Der Duden definiert Zweifel als Bedenken, ob jemandem, jemandes Äusserung zu glauben ist, ob ein bestimmtes Vorgehen richtig oder falsch ist. Man kann Zweifel in zwei Kategorien einteilen: konstruktiv, wenn es um die Wahrheitsfindung geht, und destruktiv, wenn er unberechtigterweise Selbstzweifel hervorruft.
Ein Realitätscheck ist unerlässlich, um die Berechtigung eines Zweifels zu ermitteln. Dieser Abgleich ermöglicht es uns, zu entscheiden, ob wir auf unsere Bedenken hören sollten oder nicht. Es erfordert Mut, sich seinen Zweifeln zu stellen, und manchmal auch Demut, zuzugeben, dass man Zweifel hat. Doch es ist wichtig zu verstehen, dass Zweifel nicht zwangsläufig negativ sind. Oft können sie als Wegweiser dienen und uns dazu bringen, einen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Tatsächlich ist Zweifel oft der erste Schritt zur Wahrheit.
In der Bibel werden wir ausdrücklich ermahnt und ermutigt, konstruktiv zu hinterfragen. Wir dürfen Fragen stellen und auch mal zweifeln. Ein Glaube, der keine Zweifel zulässt und in dem Fragen unerwünscht sind, kann nicht authentisch sein. Diese Authentizität bildet die Grundlage für eine glaubwürdige und stabile Beziehung zu Jesus. Zweifel und spirituelle Erfahrungen schliessen einander nicht aus.
Glauben heisst, sich anzuvertrauen
Jesus forderte einen Vater, der für seinen kranken Sohn um Heilung bat, dazu auf, nicht auf seinem Unglauben sitzen zu bleiben und ihm zu vertrauen. Der Vater schrie: «Ich glaube; hilf meinem Unglauben!» (Markus 9,24) Jesus nimmt unseren Unglauben und Zweifel ernst, so wie er auch den zweifelnden Thomas ernst nahm. (Johannes 20,24-29) Wie Thomas dürfen auch wir unsere Zweifel zu Jesus bringen und durch ihn die nötige Unterstützung finden. Der erwähnte Vater erkannte diese Wahrheit, als er sagte: «Ich glaube; hilf meinem Unglauben!» Er erkannte, dass sein Glaube allein nicht ausreichte und er die Hilfe Jesu benötigte.
Glauben bedeutet, sich anzuvertrauen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das grösste Lob, das wir Jesus geben können, ist, zu sagen: «Ich vertraue mich dir an.»
In Zeiten der Krankheit habe ich erkannt, dass mein Leben auch anders sein darf, als ich es mir manchmal wünschte, und dass auch mein Bild von Gott anders sein darf, als mein Glaube es mir erlauben will. Oft sind es gerade die schweren Zeiten, die Ängste, Zweifel, Kämpfe und Fragen, die uns den Weg zu Jesus ebnen. Für mich ist es hilfreich, mich dabei nicht nur auf meinen eigenen Glauben zu verlassen – sondern auf die unerschütterliche Treue Jesu. Wenn ich mich nur auf meinen «kleinen» Glauben konzentriere, laufe ich Gefahr, mich im Kreis zu drehen. Daher richte ich meinen Blick auf Jesus, der vielleicht nicht alle meine Wünsche erfüllt, aber alle seine Verheissungen hält. Je tiefer ich in sein Wort, die Bibel, eintauche und Zeit in seiner Gegenwart verbringe, desto klarer wird mir seine unermessliche Grösse bewusst. Es geht nicht darum, wie gross mein Glaube ist, sondern darum, an die Allmacht und Grösse Gottes zu glauben. Wenn mein Fokus nicht auf der Grösse meines Glaubens, sondern auf Gottes Allmacht liegt, dann finden auch Wunder ihren Raum. Er hat die Kraft, Wasser in Wein zu verwandeln. Auch wenn ich nicht verstehe, wie er das tut, zweifle ich nicht an seiner Fähigkeit dazu.
Das Gute im Leid entdecken
Die Geschichte lehrt uns, dass aus Leid viel Gutes entstehen kann. Gerade deshalb möchte ich trotz, oder vielleicht gerade wegen, meinen herausfordernden Umständen das Beste aus meiner Situation machen. Dazu frage ich mich: «Was ist meine Mission? Welche Ziele verfolge ich?»
In den schwierigsten Momenten meines Lebens war ich mir selbst am nächsten, durch innere Kämpfe, die meine Seele und meinen Geist gestärkt, meine Wahrnehmung geschärft und meine Entscheidungsfindung verfeinert haben. In diesen Augenblicken schien Gottes Licht besonders hell. Da war eine Nähe und Geborgenheit, die mich umgab – eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Leid mag beängstigend sein, aber es kann auch eine Gelegenheit für Begegnungen sein. Dietrich Bonhoeffer sagte einmal: «Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir benötigen. Er gibt sie jedoch nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.» In seiner Gnade finde ich alles, was ich brauche. Gott hat uns nicht versprochen, dass unser Leben stets reibungslos verläuft, aber er hat zugesichert, gerade in schwierigen Zeiten an unserer Seite zu sein. Wenn er Leiden zulässt, geschieht dies mit einem bestimmten Zweck. Vielleicht hätte ich die Menschen nie so berühren oder ihnen von meinem Glauben erzählen können. Wenn wir glauben, dass Segen bedeutet, ohne Schwierigkeiten zu sein, werden wir letztendlich ins Straucheln geraten. Die Suche nach Gemeinschaft mit Jesus in den Herausforderungen des Lebens, in denen Ohnmachtsmomente eine Rolle spielen, ermöglicht das Heranwachsen eines reifen und gesunden Glaubens. Erst durch das Wechselspiel zwischen Ohnmacht und Vollmacht wird der Nährboden für einen tragfähigen Glauben gelegt.
Gemeinschaft kann uns dabei unterstützen, Zeiten der Ohnmacht zu überwinden, zu wachsen und ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln. Der Philosoph Karl Jaspers (1883–1969), der möglicherweise auch an CF litt, bemerkte: «Gesunde können Kranke oft nicht vollständig verstehen. Sie neigen dazu, kranke Menschen in ihrem Lebensstil, ihrem Verhalten und ihren Leistungen zu beurteilen, als wären sie ebenfalls gesund. Sie erkennen möglicherweise nicht die wahren Leistungen im Kampf gegen die Krankheit und schätzen diese nicht angemessen, weil sie ihnen unbekannt sind.»
Dort, wo wir von der Sorge um uns selbst befreit sind, öffnet sich Raum für die anderen. Wenn wir nicht ständig den Sinn unserer Existenz konstruieren und absichern müssen, können wir sie ohne Angst gestalten und bereichern. Vielleicht nicht in dem Ausmass, wie wir es uns wünschen würden, aber entsprechend unseren individuellen Ressourcen und Umständen. Eines jedoch können wir alle weitergeben – Liebe.
Wenn es uns gelingt, unsere Identität stärker mit Jesus und weniger mit den äusseren Umständen zu verknüpfen, wird unser Glaube gefestigt und unsere Lebensausrichtung von innerer Beständigkeit und Klarheit geprägt sein.