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Unser Herz – der Sehnsuchtsort Gottes

Alles beginnt mit der Sehnsucht.
Publiziert: 22.11.2022

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Von Lilo Keller

Seit dem sechsten Schöpfungstag, als Gott sprach: «Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich», schlummert in jedem von uns, bewusst oder unbewusst, ein tiefes inneres Sehnen nach ihm. Er hat diese Sehnsucht nach «etwas Höherem», nach der Wahrheit des Lebens in unser Herz hineingelegt, damit wir uns auf die Suche machen, ihn zu finden und zu erkennen. Gott sehnt sich aber auch nach dem Menschen und diese Sehnsucht ist wie ein leises Liebeslied, das darauf wartet, gefunden zu werden. Es singt in uns – ob wir es wahrnehmen oder nicht – und zeugt von seiner Liebe, einem Leben in Würde und seinen wiederherstellenden Plänen für uns und die Welt.

Sehnsucht kultivieren
Im Gefühl der Sehnsucht ist eine Kraft verborgen, die durchaus eine bittersüsse Note hat. Sehnsucht entspringt dem Gefühl, etwas nicht haben, etwas nicht erreichen zu können, Mangel zu haben, und sie kann sich besonders auf der Beziehungsebene wie ein «verzehrendes Feuer» anfühlen. Es stellt sich für uns die Frage, in welche Richtung wir die Kraft dieser Gefühle lenken. Wird sie zur Triebfeder oder zur Geissel, zur Hoffnung, die dem Glauben Flügel verleiht, oder zur Sucht, die das Eigene sucht? Im besten Fall führt das Kultivieren unserer Sehnsucht dazu, dass die Erfüllung unseres Seins im Heute und Jetzt stattfindet.

Gott bittet uns im Hebräerbrief 3, Verse 7-8: «Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht …» Sobald wir diese leise Stimme in uns hören und beachten, die Melodie wahrnehmen, die uns in die Gegenwart Gottes ruft, sind wir nicht mehr auf der Flucht. Die sehnsüchtigen Blicke in die Vergangenheit bzw. in die Zukunft verlieren ihr Gewicht und wir werden frei, uns dem inneren Hunger und Durst zu stellen.

«Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden», ruft Jesus der Menschenmenge zu, die ihm am Berg der Seligpreisungen zuhört (Matthäus 5, Vers 6). Damit verspricht er denen, die zu ihm kommen, ein Glück, das unabhängig ist von äusseren Umständen, weil das göttliche Sehnen in der Person von Jesus Christus gestillt wird. Dann nämlich, wenn er sein Leben für die Sünde der Welt am Kreuz gegeben hat. So führt die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben unweigerlich zum Kreuz. Dorthin, wo die Sehnsüchte, die unserem alten Wesen entspringen, die uns antreiben, die uns verführen, in Selbstverherrlichung oder Selbstgenügsamkeit zu verharren, mit Jesus am Kreuz sterben. Dann kann in uns die Sehnsucht nach Gottes Reich, nach seinem Willen und seiner Herrlichkeit aufwachen.

Unser Herz – der Sehnsuchtsort Gottes
Sehnsucht hat das Potenzial, den Himmel auf die Erde zu bringen, wenn sie zur Hoffnung auf Herrlichkeit wird, auf Jesus in uns. Teresa von Ávila hat einmal gesagt: «Wenn ich früher gewusst hätte, was für ein grosser König in mir wohnt, hätte ich ihn öfters besucht!» Damit bringt sie zum Ausdruck, dass unser Herz der Sehnsuchtsort Gottes ist, wo er wohnen will. Der Geist Gottes, der Heilige Geist, schenkt uns eine tiefere Erkenntnis darüber, wie gewaltig der König ist, der unsere Herzen zu seinem Sehnsuchtsort gemacht hat. Es ist, als würde er nochmals durch die Völker wehen und rufen: «Der König kommt! Macht ganze Sache, schenkt ihm euer ganzes Herz, euer ganzes Leben, damit er sich euch auch ganz, mit all seinen Schätzen, seiner ganzen Kraft und seiner Regierungsautorität anvertrauen kann.»

Orte, Landschaften und auch Beziehungen können zu einer Brücke für Gotteserfahrungen werden. Unser menschlicher Geist hat die Fähigkeit, Orte der Begegnung mit Gott wieder zu besuchen und damit Kraft zu schöpfen aus all dem Guten, was wir schon mit ihm erlebt haben. In diesem Sinne können Sehnsuchtsorte eine heilende Wirkung haben, weil sie von den Wundern Gottes erzählen und die Substanz seiner Herrlichkeit, sei es physisch oder im Geiste, wieder erlebt werden kann. So ist es zum Beispiel auch zu erklären, warum die Ranft, in der Bruder Klaus viele Jahre als Eremit gelebt hat, bis zum heutigen Tag eine besondere Ausstrahlungskraft hat. Noch immer «atmet» in diesem kleinen Tal mit dem singenden, klingenden Fluss Melchaa die Gegenwart Gottes und es ist, als würden die Bäume klatschen und die Wiesen davon erzählen, dass da einer war, der sich Gott ganz geschenkt hat.

Für mich ist mein Musikzimmer zu einem Sehnsuchtsort geworden, denn ich weiss, dort wartet Gott auf mich, dort ist die Luft voller Lobpreis und dort kann ich die Tür schliessen und immer wieder erfahren, was die Braut im Hohelied sagt (7,11): «Meinem Freund gehöre ich und nach mir steht sein Verlangen!»

Aufbrechende Sehnsucht nach Gott
Mit immer grösserer Intensität sind wir von globalen Erschütterungen betroffen und können uns all den Nachrichten über Hungersnöte, Kriege, Erdbeben, Dürrekatastrophen, Epidemien etc. in den Medien kaum noch entziehen. Auch bei uns in der Schweiz haben Not, Verzweiflung und Heimatlosigkeit mit den vielen Flüchtlingen aus den nahen Kriegsgebieten ein Gesicht bekommen. Dazu kommt, dass die Auswirkungen der Kriege und die drohende Ausbreitung des Russland-Ukraine-Krieges auch einschneidende Konsequenzen auf unser tägliches Leben haben. Lebensmittelpreise schnellen in die Höhe, Krankenkassenprämien steigen, Benzin-, Öl- und Gaspreise bringen manches Haushaltsbudget an seine Grenzen. Und das ist nur die Spitze des Eisberges! Jesus selber hat in Matthäus 24 von den erkennbaren Zeichen der Erschütterung vor seiner Wiederkunft gesprochen und in Hebräer 12 heisst es, dass Himmel und Erde nochmals erschüttert werden, damit das bleibt und hervorkommt, was unerschütterlich ist.

Nun befinden wir uns mitten in diesen Wehen und stehen täglich vor der Entscheidung, wem oder was wir glauben und für wen oder was wir kämpfen wollen. Eines der Zeichen, von denen wir im Matthäusevangelium lesen, ist, dass die Liebe in vielen erkalten wird, weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird. Ich glaube, dass gerade Ungerechtigkeiten im persönlichen Umfeld, auf politischer oder wirtschaftlicher Ebene in uns eine tiefe Sehnsucht nach einer Reaktion hervorrufen. Entweder werden wir motiviert, Recht und Gerechtigkeit zu suchen, im Gebet und mit legalen Mitteln dafür zu kämpfen und einzustehen, oder wir lassen es zu, dass Hass, Ablehnung, Härte oder gar Rache uns geistlich lahmlegen und handlungsunfähig machen. Im Grunde ist die Sehnsucht nach Gerechtigkeit eine wunderbare Motivation, sich in beharrlicher Liebe zu üben und auch in Phasen von Zweifeln und schmerzhaften Erfahrungen nicht aufzugeben, sondern dem nachzujagen, was unser Herz schon weiss, aber unser Verstand oft (noch) nicht fassen kann.

Oft bricht in Zeiten, in denen die Not am grössten ist, in denen Dunkelheit und Orientierungslosigkeit über den Völkern herrscht, eine grosse Sehnsucht nach Gott hervor. Gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, höre ich von Freunden aus der Ukraine, aus dem Iran, aus Mosambik und aus den Vereinigten Staaten, wie sich der Hunger und der Durst nach Gott ausbreitet und Tausende zu Jesus finden. Das Wort aus Jesaja 60, Vers 2 erfüllt sich vor unseren Augen: «Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkelheit die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.»

Sehnsucht nach der Herrlichkeit Gottes
Wer würde sie nicht kennen, die Sehnsucht nach mehr von Gott, mehr von seiner Kraft und mehr von den Zeichen, die er uns versprochen hat, dass Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Tote auferweckt werden, Gefangene befreit werden! Ja, es geschieht unter uns, auch in der Schweiz, die Kraft nimmt zu. Und doch bleibt das Sehnen. Ich glaube sogar, es verstärkt sich noch, je mehr wir auf dem Weg sind mit Gott. Und doch bleibt die Spannung zwischen dem, was wir sehen, und dem, was uns verheissen ist und noch nicht existiert. Wenn sich an diesem Punkt unsere Sehnsucht in Glauben verwandelt und zur realen Hoffnung wird, dann sind wir mitten in dieser Spannung aufgehoben in der Liebe Gottes, die uns befähigt, Wartende und Erwartende zu sein.

Ich habe den Eindruck, dass jetzt die Zeit ist, in der wir uns ganz an Gott lehnen können. Im Hohelied 8, Vers 5 ruft der Herr begeistert aus: «Wer ist sie, die heraufsteigt von der Wüste und lehnt sich an ihren Freund?» Sich an Gott zu lehnen, kann auch heissen, dass wir nicht nur unsere Bedürfnisse, sondern auch unsere Sehnsüchte an ihm festmachen und in seinem Tempo und in seinen Plänen laufen. Es ist ratsam, es David gleichzutun, der in Psalm 27, Vers 8 Gott beim Wort genommen hat: «Mein Herz hält dir vor dein Wort: ‹Ihr sollt mein Antlitz suchen.› Darum suche ich auch Herr, dein Antlitz.»

Manche würden es als eine Schwäche auslegen, sich so ganz und gar auf den einen Freund zu fixieren. Und doch zeigt das Hohelied 8, im Vers 6 die Braut, die den Mut hat, nur noch Augen für den einen zu haben, der sie zum Leben geküsst hat und ihr seine Liebe zum Ausdruck bringt, indem er ihr sagt: «Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn …»

Mögen wir die vor uns liegenden Adventstage nutzen, um dieses Siegel der Liebe Gottes an unser Herz zu drücken und uns Jesus vor Augen zu malen. Möge es uns ein Bedürfnis und eine tiefe Sehnsucht sein, auf den zu blicken, der ist, der war und der kommen wird.

 

Zur Person
Lilo Keller ist Musikerin und Autorin. Nach der gemeinsamen Tätigkeit mit ihrem Mann Geri in verschiedenen Kirchgemeinden im In- und Ausland gründeten sie die Stiftung Schleife in Winterthur mit dem Ziel, Christen aller Konfessionen durch Seminare, Konferenzen, Seelsorge, Beratung und Lobpreis im christlichen Glauben zu ermutigen.
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