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Der Morgenstern - eine Weihnachtsgeschichte
Weihnachten - Milchstrasse | (c) unsplash - Ryan Hu

Der Morgenstern – eine Weihnachtsgeschichte

Eine Weihnachtsgeschichte von Ulrich Knellwolf
Publiziert: 23.12.2015
, Autor Ulrich Knellwolf

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Meint nicht, die Hirten und die Könige, die nach Bethlehem kamen, hätten das Licht des Morgensterns schon im Herzen getragen. Wie unser Herz, so war auch ihres ein dunkler Ort. Und erst als sie an der Krippe standen und hörten, was geschehen war, und das Kindlein sahen, da ging der Morgenstern in ihren Herzen auf und erfüllte den dunklen Ort des Zweifels und der Verzagtheit mit seinem hellen Licht.

Wer an der Krippe steht und sieht und hört, was Hirten und Könige gehört und gesehen haben, in dessen Herz geht der Morgenstern auf – so lautet die Verheissung. Darum lasst euch führen zur Krippe; kommt mit!

Hirten, die wohnten am Rand der Stadt. Führten ein hartes Leben, das keinem etwas schenkte. Und waren abergläubisch dazu! So abergläubisch, dass die aufgeklärten Bürger von Bethlehem die Nase rümpften. Die Hirten verstanden sich aufs Handlesen und kannten die Bedeutung der Sterne. Wussten genau, was von einem Kometen zu halten sei. Ein Unglücksbote war das, Anzeiger des Weltuntergangs. Vom Weltuntergang und jüngsten Gericht redeten die Hirten überhaupt oft und warteten darauf. Wenn sie in kalten Nächten an den Lager feuern hockten, erzählten sie einander von dem kommenden Weltende, da Gott zum Gericht komme und keinem etwas schenke. Den fetten Bürgern in der Stadt mochten sie‘s gönnen, wenn ihre eigensüchtige Welt zu ende ging. Zugleich jedoch fürchteten sie selber das Kommende auch. Was, wenn der Gott, der da kam zum Gericht, was, wenn es der Gott der Pharisäer war, ein moralischer Haarspalter und Gesetzes klauber, der nicht Ruhe hatte, bis jede Schuld heimgesucht war, und sei‘s bis ins dritte und vierte Geschlecht? Anders vermochten ja auch die Hirten sich Gott nicht zu den ken. Ihrem harten Leben entsprach ein harter und rachsüchtiger Gott. Sie hatten selber nie anderes erlebt, als dass jede kleinste Schuld bei ihnen eingetrieben wurde, bis das Blut unter den Fingernägeln hervorspritzte.

Die Hirten sahen den Kometen sofort, als er nach Mitternacht am westlichen Himmel aufging. «Und sie fürchteten sich sehr », heisst‘s in der Weihnachtsgeschichte von ihnen. Da war das Zeichen, und hatten sie‘s manchmal herbeigewünscht, so war‘s jetzt, da es am Himmel erschien, doch ein gewaltiger Schrecken für sie. Als die Engel riefen: «Fürchtet euch nicht», war das für die Hirten kein Grund zur Beruhigung. Das hatte schon hundertmal jemand zu ihnen gesagt, und immer hatten sie dennoch Grund gehabt, sich zu fürchten.

Mit Furcht und grossem Schrecken gingen sie schliesslich, zögernd genug, nach Bethlehem hinein. Man musste wissen, was geschehen war. Den Heiland hatte der Engel angekündigt. Doch was hiess‚ Heiland? War das ein neuer König? Dann hatten sie nicht viel davon. Oder war das Gott selber? Dann bestand erst recht Grund zur Angst. Wer zerfiele nicht zu Staub, wenn er vor Gott erscheinen muss?

Sie sahen den Stern über dem Stall stehen. Der Morgenstern war‘s. Luzifer, wie man ihn nennt. Das heisst zwar ‚Lichtbringer‘, aber zugleich ist‘s der Name für den Teufel. Genauso zweifelhaft und verteufelt war es den Hirten zumute, fast als
gingen sie zur eignen Hinrichtung. Wochen vorher schon hatte weit im Süden, jenseits der Grenze, der König von Saba den Stern am Himmel gesehen. «Was soll das bedeuten?», fragte er seinen Sterngucker. Der tippte auf Jerusalem.

Jerusalem war kein guter Name für den König von Saba. Seit tausend Jahren, seit Davids Zeiten, hatte man sich immer gegen die Herrschaftsansprüche Jerusalems wehren müssen. Und seit in Jerusalem der König Herodes mit römischer
Hilfe auf dem Thron sass, musste man jederzeit damit rechnen, dass er Gelüste auf das Südland bekam.

Der König von Saba berief eine Konferenz seiner Kollegen aus der Nachbarschaft ein. Die hatten den Stern auch gesehen und waren auch voll Sorge. Stern am Himmel, das hiess Krieg. Der Sterngott war im ganzen Südland der oberste Gott. Und der verkündete, dass es in Ewigkeit so sei, dass jeder sich sein Leben erkämpfen müsse, und dass der Krieg der Vater aller Dinge sei.

Gegen Jerusalem und vollends gegen Rom waren die Könige des Südlands nicht stark genug. Was tun? Am besten, man schickte hin und huldigte dem neuen Mächtigen, dessen Zeichen am Himmel stand. Vielleicht, dass es gelang, sich so ein Stück eigener Macht zu bewahren. Die Konferenz der Könige, erfahren in den Fragen der Macht, mit allen politischen Wassern gewaschen, beschloss, eine Dreierdelegation nach Jerusalem zu schicken. Geschenke wurden ihnen mit gegeben, dass ihre Worte Gewicht bekämen.

Es war keine angenehme Aufgabe, im Zeichen des Sterns nach Jerusalem zu reisen. Wer konnte wissen, ob es nicht das Leben kostete. Als die drei nach Jerusalem kamen und den König Herodes noch auf seinem Thron fanden, erstaunten sie. Er sei gestürzt, hatten sie erwartet. Könige steigen und stürzen, und wenn sie stürzen, stürzen sie tief – so will es das Gesetz der Welt. Und als die drei dem König Herodes von dem Stern und dem neu zu erwartenden König berichteten, fuhr auch dem der Schreck in die Knochen, als breche der jüngste Tag über ihn herein.

Doch über Jerusalem machte der Stern nicht Halt. Er führte die Königs delegation zur kleinen Stadt Bethlehem. Dort blieb er stehen über einem Stall. Die drei sahen, dass schon Hirten in der Nähe waren und mit einer Mischung aus Neugier und Angst nach dem Stern am Himmel schauten. Niemand begehrte, als Erster in den Stall hineinzugehen. Gern liessen diesmal die hohen Könige den niedern Hirten den Vortritt.

Was erwarteten sie? Einen auf einem Thron vielleicht, das Schwert des Gerichts in der Hand, der mit unbestechlichem Blick jeden musterte, der vor ihn trat, und mit Worten, die wie Messer ins Herz fuhren, jeden befragte, bis der keine Worte mehr hatte. Und dann senkte der auf dem Thron das Schwert und man wurde abgeführt in die Kerker der Ewig keit, wo kein Licht war. Kann etwas anderes Gott sein als solche eiserne Unbestechlichkeit und eherne Gesetzmässigkeit?

Sie treten ein. Sie sehen im Licht des Sterns das Bild. Eine Futterkrippe. Darin das neugeborene Kind.

Es blinzelt ins Licht des Sterns, verzieht den kleinen Mund – lächelt es wirklich?

Daneben auf einem Haufen Heu die Mutter. Ein junges Mädchen noch, sichtbar nicht von hoher Geburt, ein Mädchen aus dem Volk. Liegt da, erschöpft und glücklich und ein wenig verlegen ob dem Interesse, das sein Erstgeborener erregt.

Wer weiss, wie dem Mädchen zumute war, nachdem ein Engel ihm vor Monaten angekündigt hatte, es werde Gottes Sohn zur Welt bringen?

Wer war Gottes Sohn? Hatte das Mädchen gefürchtet, einen Feuer speienden Drachen zu gebären oder einen gepanzerten Helden mit Eisen und Schwert? Wie musste man sich Gottes Sohn vorstellen?

Jetzt schaut das Mädchen auf seinen ersten Sohn. Hände hat er und Haare, und der Kopf ist noch etwas verdrückt, wie bei jedem Neugeborenen.

Auch die Hirten schauen auf das Kind. Den Weltuntergang haben sie erwartet. Sich ausgemalt, dass vielleicht ein Abgrund sich aufmache und alles verschlinge, oder dass es Feuer vom Himmel regne. Und sehen jetzt nicht Ende des Lebens vor sich, sondern Anfang. Dieses Kind, das ins Licht des Lebens blinzelt und nichts weiss von Schuld und Schuldeintreibung.

Neben den Hirten die Könige. Jetzt knien sie nieder und legen ihre Geschenke in die Krippe. Diese alten, weisen und im Gebrauch der Macht geübten Männer, die mit Menschenweisheit nach dem Grund aller Dinge fragen und das Geheimnis der Welt erforschen.

Der grosse, verborgene, geheimnisvolle Gott hat sein Geheimnis gelüftet und gibt sich zu erkennen.

Macht sich offenbar. Tritt aus der Verborgenheit und zeigt sein innerstes Wesen – macht sein Herz auf. Und was ist darin – in Gottes Herz?

Hatten sie sich‘s , und mit ihnen die Hirten, anders vorstellen können als gefüllt mit Macht und zerfressen von Zorn und Rachegelüsten? So hatten sie alle sich Gottes Herz vorgestellt – Abbild ihres eignen Herzens. Und jetzt lag‘s da vor ihnen, Gottes offenes Herz. Ein Kind, soeben zur Welt gekommen, blinzelnd ins Licht des Lebens.

Die Hirten dachten an ihre Geschichten vom blutigen Weltuntergang. Vielleicht kam der wirklich. Doch dann gab‘s dieses Kind hier – und das nahm dem Untergang den Stachel des Schreckens und nahm dem Untergang das letzte Wort. Und die Könige dachten an ihre Machtkämpfe und ihre Kriege. Und schauten auf das Kind.

Und wie der Morgenstern ging in ihrem Herzen das Licht auf. Wenn ein neugeborenes Kind das innerste Geheimnis aller Dinge verkörpert – dann ist es die Liebe, die in Gottes Herz wohnt.

Da wurden die Könige sehr hoch erfreut. Und die Hirten priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.

 

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