Von Michelle Boss
Wer den Begriff «Treue» bei Google eingibt, findet hauptsächlich Texte rund um Treue und Untreue in Partnerschaften. Doch treu sind wir längst nicht nur in Beziehungen. Manche Menschen sind ihr ganzes Berufsleben hindurch einem Arbeitgeber treu. Andere bleiben einem Wohnort, einem Verein, einer Kirchgemeinde treu.
Diese Art Treue scheint mir aktuell eher das Dasein einer grauen Maus zu fristen. Beständigkeit ist auf den ersten Blick kein attraktiver Wert. In Lebensläufen werden regelmässige Jobwechsel gern gesehen, solange sie nicht gerade im Jahrestakt geschehen. Schliesslich erweitern sie den Horizont. Menschen, die stetig und zuverlässig über viele Jahre hinweg an ein- und demselben Ort bleiben, wirken auf den ersten Blick langweilig. Vielleicht auch wahlweise bequem oder ängstlich. Sie scheinen nicht den Mut oder die Energie aufzubringen, um eine Veränderung anzupacken.
«Wer sich selbst treu bleiben will, kann nicht immer anderen treu bleiben.» Das Zitat ist über 100 Jahre alt und stammt vom deutschen Dichter und Schriftsteller Christian Morgenstern. Doch ich finde, es passt perfekt zum Zeitgeist. In einem Job bleiben, der zwar meist Spass macht, aber keine wirkliche Erfüllung bringt? Eine Freundschaft pflegen, in der ich mehr investiere als mein Gegenüber? Eine Partnerschaft aufrechterhalten, in der zwar beide grundsätzlich zufrieden sind, in der aber die Leidenschaft fehlt? Solches Verhalten löst oft Unverständnis aus.
Für viele Menschen reichen bereits kleine Unstimmigkeiten oder Störungen aus, um eine Veränderung anzugehen.
Doch wer bereit ist, auch in schwierigen Zeiten auszuharren, ist oft eine wichtige Stütze in Organisationen, Kirchen oder Freundeskreisen – und damit letztlich auch für die Gesellschaft. Solche Menschen bilden mit ihrer Loyalität und Treue das Fundament dafür, dass selbst viele Veränderungen nicht direkt ein ganzes Gefüge ins Wanken bringen. Auch bei ERF Medien sorgen eine ganze Anzahl von Mitarbeitenden mit langjähriger treuer Mitarbeit für die nötige Kontinuität und vertieftes Know-how.
Regelmässige Veränderungen erweitern den Horizont und sorgen für mehr vielseitige Erfahrung. Schwierigkeiten aushalten lässt einen Menschen ebenfalls wachsen, insbesondere in die Tiefe.
Ich möchte Menschen, die treu und zuverlässig verharren, nicht ausspielen gegen Menschen, die öfters Veränderungen benötigen. Mir scheint, Gott hat uns aus gutem Grund unterschiedlich geschaffen. Manche von uns langweilen sich schnell, brauchen immer neue Herausforderungen. Sie bringen neue Ideen und frischen Wind mit sich, wenn sie sich an neuen Orten investieren, und das ist wichtig und wertvoll. Andere Menschen mögen Kontinuität, sind beharrlich oder haben die Fähigkeit, auch dann zufrieden zu sein, wenn nicht alles zu 100 % passt. Beides ergänzt sich wunderbar. Und beide Verhaltensweisen können bedeuten, sich selbst treu zu bleiben.