Von Reto Nägelin
Unsere Nachbarn haben eine riesengrosse, wunderschöne Trauerweide. Diese schnitten sie völlig kahl, nur noch der nackte Stamm blieb übrig. Der Baum sah richtig tot aus. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass an ihm je wieder etwas wachsen würde. Doch im folgenden Frühling begann er Triebe zu schlagen und sah viel schöner als aus vorher.
Mit unserem alten Zwetschgenbaum verhielt es sich ebenso: Ich schnitt ihn stark zurück und als Laie dachte ich, ich hätte den Baum zerstört. Doch im darauffolgenden Jahr brachte er viele neue Triebe hervor und ein weiteres Jahr später trug er so viele Früchte wie noch nie.
Mir fällt es sehr schwer, dieses Natur- und Schöpfungsprinzip auf mein Leben zu übertragen. Das bedeutet nämlich, dass ich vieles von dem, was ich tue, einfach abschneide und nicht mehr mache. Zurück zum Minimum, zurück zum blanken Sein. Ich soll und will doch so viel tun …
2016 hatte ich eine schwere Erschöpfungsdepression. Ein Kahlschnitt, unfreiwillig. Aber danach habe ich wieder ganz neu angefangen zu blühen, neue Triebe zu machen und Frucht zu bringen. Und heute? Es sieht bei mir wieder eher aus wie vor 2016. Ein Zurückschneiden aufs Wesentliche bringt in Gottes Welt das zum Treiben, was wirklich Frucht bringt: für mich, für die Welt, für Gott.
Es ist so schwierig, das selbst machen zu können. Ich vertraue deshalb darauf, dass Gott der Gärtner ist und er zurückschneidet – damit ich genug Saft habe für das, was wirklich Sinn macht.