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Sportler sitzt niedergeschlagen auf einer Sitzbank
Völlig niedergeschlagen | (c) Mirko Vitali/dreamstime

Mehr als Gold – Leistung und psychische Gesundheit

Sportpsychologische und -theologische Betrachtungen für uns alle
Publiziert: 17.06.2024

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Von Andrea Jenzer und Jean-Bernard Berger

An den kommenden Olympischen Spielen in Paris 2024 wird die Welt Spitzensportlerinnen und Spitzensportler in unterschiedlichsten Sportarten bewundern. Für Gold vollbringen sie Höchstleistungen unter grösstmöglichem Druck. Beachtenswert und faszinierend! Oder würden Sie eher sagen, dass eine hohe Leistungserbringung abstossend ist, weil es mit dem normalen Alltag und dessen Herausforderungen nichts zu tun hat? Oder dass sie gar schädlich ist? Wir räumen aus ganzheitlicher Sicht mit einigen Vorurteilen auf.

(Sport-)Psychologische Aspekte: In unserer Gesellschaft heute ist psychische Gesundheit als Thema omnipräsent. Wir werden aufgeklärt und erhalten Hilfen. Psychische Krankheiten werden immer mehr enttabuisiert. Eine erfreuliche Entwicklung! Bedenklich ist hingegen die Entwicklung, dass Stress, Druck, negative Emotionen (beispielsweise Frust, Ärger) oder gar Leisten im Volksmund immer öfters als «ungesund» und «unerwünscht» gewertet werden.

Aus psychologischer Sicht ist «Leistung erbringen» zur Stärkung des Selbst wichtig.

Ist «Leisten» aus psychologischer Sicht gesund oder ungesund?
Leisten heisst, dass ein Ziel durch unser Handeln erfolgreich erreicht und vollbracht wird. Nicht nur im Leistungssport, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens wie der Arbeit, Schule oder dem Haushalt geht es um Leistung. Ja, Leisten ist ein alltägliches Phänomen.

Aus psychologischer Sicht ist «Leistung erbringen» zur Stärkung des Selbst wichtig. Wir erleben und erwarten uns als «selbstwirksam », wenn wir die Wirkung unseres Handelns erkennen und das Ergebnis mit-/beeinflussen können. Dies stellt im heutigen Weltgeschehen einen relevanten Gegenpol zur erlebten Hilflosigkeit dar. Den Fokus auf das Beeinflussbare und die Aufgabe zu legen (das eigene Handeln und Erleben), ist wichtig für erfolgreiches Handeln im Alltag und (Leistungs-)Sport.

Zusätzlich ist aus psychologischer Sicht nicht nur die Bewertung des Ergebnisses als «erfolgreich oder gelungen» wichtig, sondern auch das Erkennen der Fortschritte sowie der eingesetzten Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zum Ergebnis führten. Mit Hilfe der Frage «Was habe ich getan, damit es erfolgreich war?» kommen wir unseren Kompetenzen auf die Spur. Dadurch wird unser Bedürfnis nach Kompetenz-Erleben «Ich kann was!» befriedigt. Durch unsere Kompetenzen wird also Leistung möglich. Und umgekehrt erleben wir durch die Leistung unsere Kompetenzen. Das stärkt die psychische Gesundheit und lässt positive Emotionen wie Stolz und Freude aufkommen. Dies gilt für die Allgemeinbevölkerung ebenso wie für Spitzensportler.

Durch Stress «stressresistener» werden
Leisten ist nicht mit Leistungsdruck gleichzusetzen. Durch die Kombination des Leistens mit einer Wettkampfsituation und dessen Anforderungen und Folgen wie Niederlage oder Sieg erleben Sportlerinnen Leistungsdruck. Leistung erfolgt im Sport unter erhöhtem Druck von innen und/oder aussen. Wie jemand nun diese Drucksituation bewertet, ist individuell und in der Folge auch das Stress- und Angsterleben – mit möglichen negativen oder positiven Auswirkungen auf die Leistung. Erfolgreiches und bestmögliches Leisten wird erst mit einer inneren Spannung, also einem gewissen Grad an Stresserleben, möglich. Sich beispielsweise nervös fühlen, einen erhöhten Puls wahrnehmen, mit einer gewissen Sicherheit und doch mit der Frage, ob es reicht, an den Start zu gehen, ist im Sport anerkannt. Ebenso gehört dieser Leistungszustand im Alltag dazu.

Im Sport stellt sich also die Frage, ob und wie sich Athleten in diesen Druckmomenten hilfreich und leistungsfördernd regulieren können. Das macht den Unterschied zwischen guten und Top-Athleten. Über individuelle mentale Trainingsprogramme kann die mentale Stärke erhöht werden, somit gelingt die Selbstregulation unter Druck besser, die Leistung kann stabiler abgerufen oder es kann sogar mehr erreicht werden. Wenn Athleteninnen also lernen u.a. in und durch Drucksituationen mit Stress und unangenehmen Emotionen besser umzugehen, dann werden sie dadurch stressresistenter und mental stärker. Auch das ist gesundheitsfördernd. Und was im Sport möglich ist, kann auch im Alltag von Nutzen sein!

Im Leisten unter Druck gesund bleiben
Mentale Stärke hilft, unter Druck die Leistung abzurufen. Mentale Stärke ist dabei nicht gleichzusetzen mit mentaler Gesundheit. Sonst wäre das gesamte Leben eine andauernde Leistungssituation und ein Dauer-Stresszustand. Spitzensportler bewegen sich diesbezüglich «auf Messers Schneide». Sie investieren viel, beanspruchen sich täglich stark, verschieben oder überschreiten manchmal auch körperliche und psychische Grenzen. Zusätzlich sind sie weiteren Belastungen ausgesetzt, da sie verschiedene Lebensbereiche wie beispielsweise Sport und Beruf koordinieren müssen.

Auch wir «Normalos» sind von diesem Balanceakt betroffen. Nicht das Leisten, der Druck und das kurzfristige Stresserleben sind das Problem, sondern dass wir uns einseitig auf Leistung stützen und uns keine Erholung gönnen. Es ist entscheidend, dass nach Phasen der Belastung auch Phasen angemessener Erholung folgen. Ansonsten erleben wir chronischen, langanhaltenden Stress. Das ist dann tatsächlich gesundheitsschädigend und erhöht u.a. das Risiko für psychische Erkrankungen wie Burn-out – für Athleten ebenso wie für die Allgemeinbevölkerung. Bei Spitzensportlerinnen kommen psychische Erkrankungen ähnlich häufig vor wie in der Allgemeinbevölkerung – je nach Sportart, Geschlecht oder Anlass wie «Verletzungen » gar höher. Zur Prävention helfen u.a. frühzeitiges Wahrnehmen von persönlichen Veränderungen im Erleben und Verhalten und von unbefriedigten Bedürfnissen, das darauf Re-/Agieren sowie eine bewusste Zeitplanung mit angemessenen «Musseminuten und -stunden». Als Menschen haben wir unterschiedliche Bedürfnisse (wie soziale Zugehörigkeit), Werte (wie Spass oder Dankbarkeit) und Ziele (wie eine Weltreise). Das Leistungsmotiv als Beweggrund und das Leisten gehören ebenso dazu wie das Befriedigen von spirituellen Bedürfnissen, die durch beispielsweise den christlichen Glauben gefüllt werden können. Diese verschiedenen Aspekte im Leben bewusst zu berücksichtigen und zu pflegen, führt anerkanntermassen zu Wohlbefinden und mentaler Gesundheit.

(Sport-)Theologische Perspektive zur Leistungserbringung und Gesundheit: zur gesunden Leistung befähigt und beauftragt
Die als Idee von Gott zu seinem Bilde geschaffenen Menschen waren von Anfang an und sind bis heute vom Schöpfer dazu befähigt, Leistungen zu erbringen. Leisten zu können und zu wollen, ist theologisch betrachtet eine gottgewollte, gottermöglichte und damit schöpfungsmässige, natürliche Fähigkeit der Menschen und gleichzeitig Gottes Auftrag (vgl. 1. Mose 1,26-28; 2. Mose 20,9). Etwas zu leisten, ist und kann also nicht an und für sich falsch oder gesundheitsschädlich sein, wie die theologische und psychologische Betrachtungsweise und Erkenntnisse zeigen!

Glaubende Menschen sind befreit zur gesunden Leistungserbringung
Durch den Glauben an den auferstandenen Jesus Christus erleben Christen real eine neue innere bis dahin vergebens durch Leistung gesuchte Grundbefindlichkeit. Ich bin okay, meine tiefsten innersten Bedürfnisse, die nur der dreieinige Gott stillen kann, sind nun gestillt: Ich bin voraussetzungslos angenommen, geliebt, bejaht, unterstützt, gefördert, geführt, ohne dafür etwas leisten zu müssen! Ich bin in den Augen des grössten und mächtigsten Herrschers dieser Welt bedeutungsvoll, einfach weil ich lebe, weil ich Gottes Geschöpf und nun sogar sein Kind und Mitarbeiter bin!

Diese übernatürliche Grundbefindlichkeit ist mehr als Gold und macht Christinnen und Christen frei, beim Erfüllen der aufgetragenen Aufgaben, das Bestmögliche bejahend zu leisten und mit einer gesunden Glaubenseinstellung, mit ihren Gaben und Talenten (u.a. Sport als geschenktes Talent!) das Leben aktiv und engagiert mit Gott zu gestalten (vgl. 1. Korinther 15,10)!

Günstige (Glaubens-)Haltungen für psychische Gesundheit
Günstig für die psychische Gesundheit von Menschen wie auch von Leistungssportlern ist also die Erkenntnis, dass es sinnlos ist, die innerste Sehnsucht nach Anerkennung, Bedeutung und Liebe lediglich durch äussere Lebensgestaltung mit noch mehr Einsatz, Leistung und Erfolge stillen zu wollen. Wer seine tiefsten inneren Bedürfnisse durch Gott täglich real gestillt bekommt, will, soll und kann Leistung erbringen. Dabei sagt er aber auch dem ungesunden Prinzip «Leistung um jeden Preis» ab und vermeidet damit die tragischen und möglichen psychischen und/oder gar körperlich krankmachenden Folgen.

Günstig für die psychische Gesundheit von Christinnen und Christen ist eine fundierte Theologie mit einem im Alltag gelebten Glauben, der u.a. die oben beschriebene, natürliche (schöpfungsmässige) Befähigung zur Leistungserbringung für sich selbst und in den Augen Gottes geistlich als bedeutungsvoll anerkennt und dementsprechend umsetzt. So setzen sie ihre Talente und Gaben in Sport, Familie, Beruf, Kirchgemeinde etc. mit hoher, verantwortungsbewusster Leistungsbereitschaft und vollem Einsatz mit und zur Ehre Gottes ein (vgl. Matthäus 25,14-30; Kolosser 3,17).

Günstig für die psychische Gesundheit von glaubenden Menschen ist auch die Erkenntnis, dass Gott sie zwar begabt und befähigt hat, ihnen aber die Verantwortung für ihre Leistung, ihren Einsatz und den daraus folgenden Erfolge, Resultate und Wirkungen überlässt! Die theologisch stimmige Haltung bezüglich der Leistungsbereitschaft und dem konkreten Einsatz für all unser Tun in enger Beziehung mit dem in uns wirkenden, allmächtigen Gott könnte also lauten: «Ich gebe 100% und Gott gibt 100% und wir zusammen sind ein Topteam!» Eine wirkungsvolle Grundhaltung für psychische Gesundheit mit hoher Leistungsbereitschaft für Gold – und mehr als Gold!

Die Autoren
Die Expertise von Andrea Jenzer, Psychologin FSP, liegt in den Fachgebieten der Arbeits-, Organisations, Sport- und Notfallpsychologie. Diese ergänzt sie mit fundierten langjährigen Erfahrungen in Beratungen, Seminarund Moderationsdurchführungen. Dabei kann sie auch auf persönliche Erfahrungen als Leichtathletin und Trainerin zurückgreifen.
Jean-Bernard Berger arbeitete sechs Jahre auf seinem Beruf als Lehrer und studierte anschliessend Theologie (lic. theol.). Er gründete und leitete als Sporttheologe über 35 Jahre den gemeinnützigen – heute nicht mehr existierenden – Verein SRS Pro Sportler. 30 Jahre hatte der ehemaliger Leistungshandballer als Leistungstrainer im Handball Erfolg. Er wirkt aktuell als Mitarbeitertrainer, Dozent und Coach bei der berger impression gmbh.
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