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Hoffnung gegen Verzweiflung und Gleichgültigkeit

Die Tugend der Hoffnung
Publiziert: 21.10.2024

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Von Dr. Andreas Krafft

Können Menschen in Zeiten gesellschaftlicher, ökologischer und politischer Krisen überhaupt noch hoffen? Hoffnung ist erst dort wirklich relevant, wo Sorgen, Leid und Not vorhanden sind. Gerade wenn es Menschen nicht gut geht oder wenn sie Sorgen um die Zukunft haben, erkennen sie den existenziellen Wert der Hoffnung.

In der christlichen Tradition sind Glaube, Liebe und Hoffnung die drei theologischen Tugenden. Sie können im Leben nur dann wirkungsvoll sein, wenn sie eng miteinander verbunden sind. Wie sich die Hoffnung als Tugend im Alltag beobachten und erklären lässt, zeigt sich in den vielfältigen Facetten des persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens.

Hoffnung und ihre Widersacher
Die aktuellen Ereignisse in der Welt bereiten vielen Menschen Sorgen und lösen manchmal auch Zukunftsängste aus. Aber gerade in solchen Situationen hoffen Menschen auf ein besseres Leben, auf eine friedvolle, gerechte und nachhaltige Welt. Angst und Hoffnung sind nicht nur Gegenspieler, sondern auch die beiden Seiten derselben Medaille. Beide Phänomene haben ihre Wurzeln in der Ungewissheit der Zukunft und sind eng miteinander verbunden. Ohne Unsicherheit und Angst gäbe es keine Notwendigkeit zur Hoffnung.

Die eigentlichen Widersacher der Hoffnung sind Verzweiflung und Gleichgültigkeit. Menschen, die verzweifeln, sehen die Zukunft als bereits vorbestimmt an. Verzweiflung bedeutet eine Art Kapitulation vor den aktuellen Gegebenheiten und hat Passivität, Mut- und Perspektivlosigkeit zur Folge. Gleichgültigkeit ist ebenso ein Gegner der Hoffnung. Wer gleichgültig ist, der interessiert sich nicht für das, was kommt. Menschen, denen Kriege, Umweltkatastrophen und politische Krisen gleichgültig sind, hoffen auch nicht auf Frieden, Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie engagieren sich auch nicht dafür. Dagegen versteht sich die Haltung der Hoffnung als eine Orientierung an einer offenen und wünschenswerten Zukunft, die neue Möglichkeiten bietet und durch eigene Bemühungen gestaltet werden kann.

Die Tugend der Hoffnung zur menschlichen Entwicklung
Aus psychologischer Sicht ist Angst mit dem Bedürfnis nach Schutz vor Bedrohungen verbunden. Während Angst den psychologischen Mechanismus zum Überleben darstellt, dient Hoffnung der persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Hoffnung ist einer der wichtigsten Aspekte eines gedeihenden Lebens, das sich durch persönliches Wachstum und eine offene Auseinandersetzung mit den bestehenden und zukünftigen Lebensumständen auszeichnet. Tugenden sind positive Eigenschaften, durch die Menschen in der Lage sind, über sich selbst und ihre bisherigen Grenzen hinauszuwachsen. Sie stellen die innere Fähigkeit dar, die dem Streben nach einem guten und erfüllten Leben dienen, indem sie der Person ermöglichen, verantwortungsvoll zu handeln. Zu einer Tugend wird die Hoffnung, sobald der Wunsch nach einem guten Leben und einer besseren Welt mit dem Glauben einhergeht, dass die Verwirklichung dieses Wunsches auch möglich ist. In diesem Sinne ist Hoffnung sowohl der Wunsch auf – als auch die Voraussetzung für – ein besseres Leben.

Hoffnung als Voraussetzung für Handeln
Die Tugend der Hoffnung ist viel mehr als reines Wunschdenken, weil sie die Voraussetzung für richtiges und gutes Handeln ist. Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Gleichgültigkeit hindern den Menschen daran, sich aktiv am Leben zu beteiligen. Die Hoffnung dagegen versetzt in die Lage, die Gedanken und Taten auf die Zukunft auszurichten. Die Hoffnung bereitet auf eine bessere Zukunft vor und veranlasst, etwas dafür zu tun. In der Hoffnung erkennt man die Möglichkeiten, die sich bieten. Sie fördert die Bereitschaft, bestehende Gegebenheiten zum persönlichen und gemeinsamen Wohle zu verändern. Vor dem Hintergrund der Ungewissheit der Zukunft erfordert Hoffnung Mut. Und zwar Mut, um die leidvolle Wahrheit zu sehen, an das Gute zu glauben und sich für das Gute einzusetzen.

Hoffnung als intellektuelle Tugend
Eine der bedeutendsten Errungenschaften der Moderne sind der Wille und die Verpflichtung zur Wahrheit. Menschen, die zur Wahrheit stehen, gelten grundsätzlich als gut. In der heutigen Zeit gefährden Fake News, journalistischer Sensationalismus und die Manipulation der Realität in den sozialen Medien diese Orientierung zur Wahrheit. Als intellektuelle Tugend vereint Hoffnung den unverblümten Blick auf die Realität mit der menschlichen Gabe zur kreativen Vorstellung und Gestaltung einer offenen Zukunft. Die Suche und die Erkenntnis von Wahrheit sind im Verstand und in der menschlichen Vernunft verankert. Als intellektuelle Tugend gilt die Hoffnung deswegen, weil diese, anders als die Grundhaltung von Optimismus und Pessimismus, eine schonungslose Konfrontation mit der Realität erfordert. Während Optimisten häufig dazu neigen, negative Dinge zu übersehen, und sich Pessimisten vor allem auf das Negativ fokussieren, hat die Hoffnung einen ausgesprochenen Realitätsbezug – auch wenn diese Realität schmerzhaft ist.

Der hoffende Mensch bleibt aber bei der Betrachtung der Realität nicht stehen. Zu den intellektuellen Fähigkeiten gehört auch die Möglichkeit, neue mentale Bilder zu entwickeln. Die Welt ist nicht perfekt, aber die Menschen können sich durch den Verstand und die Vernunft, zu der auch die Fantasie gehört, eine ideale Welt vorstellen. Je mehr sie sich diesem Ideal bewusst sind, desto mehr kann es sie zum Handeln motivieren. Das ist wiederum die Voraussetzung für menschliche Entwicklung.

Hoffnung als moralische Tugend
Hoffnung ist in der menschlichen Fähigkeit und im menschlichen Streben nach einem besseren Leben begründet. Egal wie schlimm die Situation ist: Menschen können immer auf das Gute hoffen. Indem sie hoffen, glauben sie an das Gute und vertrauen auch, dass sie das Schlechte überwinden können. Immanuel Kant soll mal gesagt haben, der Mensch habe die Neigung zum Bösen, aber die Bestimmung zum Guten. Ohne Hoffnung zu leben, würde bedeuten, die moralische Handlungsfähigkeit aufzugeben. Hoffnung als moralische Tugend äussert sich bei der Vorstellung und Verwirklichung ganz konkreter Lebensziele. Dazu gehören Ziele wie Gesundheit, eine glückliche Ehe und Familie, eine sinnvolle Aufgabe, Hilfsbereitschaft, gute Beziehungen zu anderen Menschen sowie Frieden und eine intakte Umwelt.

Hoffnung als soziale Tugend
Eine wichtige Erkenntnis aus der Forschung ist, dass Hoffnung etwas zutiefst Soziales ist. Hoffnung lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was mithilfe anderer Menschen möglich ist. Menschen brauchen die Unterstützung anderer, um ihre Hoffnung und Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Sie setzen ihre Hoffnungen auf andere und hoffen ebenfalls für andere Menschen – für die Familie, Freunde und Kollegen. Hoffnung ist vom Vertrauen gekennzeichnet, dass andere sich für die gemeinsamen Wünsche und Werte einsetzen. Durch diese soziale Hoffnung erweitern sie die Möglichkeiten und die Handlungsfähigkeit. Hoffnung ist deswegen eine soziale Tugend, weil sie die Zusammenarbeit und die Solidarität mit anderen hervorruft. Dank der sozialen Qualität der Hoffnung kümmern sich Menschen um andere und setzen sich für sie ein. Eines der grössten Geschenke, die Eltern ihren Kindern geben können, ist es, weiterhin an sie zu glauben. Dazu gehört auch, für sie zu hoffen, vor allem in Situationen, in denen sie selber nicht mehr an sich glauben können.

Eine gemeinsame Vision der Zukunft verbindet Menschen miteinander – besonders in Zeiten der Ungewissheit. Unter kollektiver Hoffnung verstehen sie den gemeinsamen Wunsch nach einer besseren Zukunft – nicht nur für sich selbst, sondern für die gesamte soziale Gemeinschaft und den Planeten. Die Überzeugung, dass eine bessere Zukunft für alle möglich, aber nicht unbedingt garantiert oder gar wahrscheinlich ist. Und das Vertrauen in die Fähigkeit der Menschen, zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig bei der Verwirklichung einer besseren Welt trotz der derzeitigen Herausforderungen, Hindernisse und Rückschläge zu unterstützen.

Hoffnung als politische Tugend
Aktuelle Ereignisse in der Welt zeugen von einer Erschütterung der politischen Systeme. Das mangelnde Vertrauen in die Politik, der Zuwachs an politischem Extremismus und der sinkende Glaube in die demokratischen Institutionen rufen bei vielen Menschen Unmut und Sorgen hervor. Hoffnung ist unter diesen Umständen eine politische Bürgertugend. Viele Menschen erhoffen sich einen gesellschaftlichen und politischen Wandel, der in der Regel nur durch kollektives Handeln zu erreichen ist. Die gemeinsamen Hoffnungen der Bevölkerung stellen die Quellen für gesellschaftliche Erneuerungen dar. Die Hoffnung als demokratische Bürgertugend ist eine Haltung der Offenheit für neue politische Möglichkeiten, die ein demokratisches System bieten kann. Bürgerinnen und Bürger werden eher bereit sein, sich für soziale und ökologische Basisinitiativen zu engagieren, wenn sie hoffen, dass andere ihr Engagement für einen guten Zweck unterstützen. Gesellschaftliche und politische Institutionen müssen die Grundlagen für eine soziale Hoffnung schaffen, die das Gute, das Wohlbefinden der Bevölkerung, den Frieden, die Gerechtigkeit, den gegenseitigen Respekt, die Inklusion, die Nachhaltigkeit und den Zusammenhalt bewirken. Zu dieser Hoffnung gehört der Glaube und das Vertrauen in die Güte und die Möglichkeiten der Demokratie selbst.

Hoffnung als transzendente Tugend
Hoffnung ist in der Realität verankert und richtet sich auf eine wünschenswerte, aber ungewisse Zukunft aus. Somit ist Hoffnung von Natur aus transzendent. Sie transzendiert die aktuellen Gegebenheiten, indem sie neue Gegebenheiten sowohl in Gedanken als auch in Taten hervorbringt. Dank der kreativen Offenheit von Hoffnung auf zukünftige Möglichkeiten hin, können wir aktuelle Grenzen überschreiten.
Für den Philosophen Richard Rorty bedeutet Hoffnung, «die Welt bei der Gurgel zu packen und darauf zu bestehen, dass es mehr in diesem Leben gibt, als wir uns jemals vorgestellt haben.» Eine transzendente Hoffnung kann grundsätzlich zwei weitere Formen annehmen. Einerseits ist die Hoffnung transzendent, indem sie auf einen zukünftigen Zustand ausgerichtet ist, den sich Menschen gegenwärtig noch gar nicht richtig vorstellen können. Die Menschen können diese Zukunft weder in Bildern noch mit geeigneten Begriffen festhalten. Weiterhin kann die Hoffnung transzendent sein, wenn die Menschen auf etwas hoffen, dass die menschlichen Möglichkeiten übersteigt. In dieser Hoffnung schauen sie auf das, was jenseits ihrer Kräfte liegt. Im theologischen Sinne heisst dies: Sie können und sollen alles tun, was in ihrer Macht liegt. Und das, was für sie unmöglich ist, überlassen sie Gott. Indem sie so denken und handeln, setzen sie ihre Hoffnung auf den Glauben und das Vertrauen in den Willen eines gütigen, fürsorglichen und allmächtigen Vaters.

In der Hoffnung leben
Hoffnung kann nicht nur auf die Zukunft gerichtet sein. Sie kann sich auch auf die Gegenwart beziehen. Besonders in extremen Situationen kann Hoffnung eine grundsätzliche Haltung dem Leben gegenüber sein. Die Hoffnung, die beispielsweise ein kranker Mensch hat, motiviert diesen, morgens aufzustehen, sich auf den neuen Tag zu freuen und aktiv sein Leben zu gestalten. Diese Art von Hoffnung beinhaltet ein Gefühl des Urvertrauens, dass das Leben einen Sinn hat und trotz allem lebenswert ist. Hoffnung ist eine Voraussetzung für ein wert- und sinnvolles menschliches Leben und Handeln. Wenn Menschen in der Hoffnung leben, sind sie daran interessiert, wie sich ihr Leben und das der anderen entwickeln werden. Ohne diese Hoffnung werden das Leben und die Welt bedeutungslos. Die dadurch entstehende Leere wird häufig durch ständige Unterhaltung ausgefüllt. Aus theologischer Sicht schenkt Gott den Menschen die Fähigkeiten des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, aber vor allem den freien Willen. Es liegt in der Freiheit der Menschen, aber auch in der Verantwortung begründet, zu entscheiden, woran sie glauben, wen und was sie lieben und worauf sie hoffen wollen.

 

Zur Person
Dr. Andreas Krafft ist Dozent an der Universität St. Gallen und der Freien Universität Berlin, Leiter des internationalen Forschungsnetzwerks des Hoffnungsbarometers. Sein Herz schlägt für die Befähigung junger Menschen, an sich und unsere gemeinsame Zukunft zu glauben.
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