Während der Corona-Pandemie durften wir gewisse Dinge phasenweise nicht mehr machen. So konnten wir entsprechend problemlos Nein sagen.
Die psychosoziale Beraterin Janine Oesch hat diesbezüglich beobachtet: «Wie so oft ist nachher das Pendel auf die andere Seite geschwungen. Die Leute haben sich aus ganz vielen Verantwortungen herausgenommen, die eigentlich der Gesellschaft guttun würden. Als eine Art Nachfolger der Corona-Pandemie hört man jetzt von der Pandemie der Einsamkeit.»
Die Sackgasse der Einsamkeit vermeiden
Die Menschen hätten gelernt, wie sie sich abgrenzen können, aber nicht gemerkt, dass sie in eine Sackgasse laufen, wo Einsamkeit aufkommt. Gefragt ist nun, wieder vermehrt Ja zu sagen.
«Begegnungen mit anderen Menschen, die keinen Zweck haben und mir nichts bringen, lösen in mir etwas sehr Positives aus. Das gibt mir ein Gefühl von ‹Ich werde gebraucht, ich habe etwas zu geben.› Das gibt mir einen Sinn im Leben.» Das kann beispielsweise eine Stunde Kaffee trinken mit einer Nachbarin sein.
«Ich finde es wichtig, dass wir als Eltern unseren Kindern vorleben, was heisst es, Freundschaften zu pflegen. Damit unsere Kinder gute Vorbilder haben.» Wir sollen Menschen auch dann zu uns einladen, wenn es zu Hause nicht perfekt aussieht.
Sich auf andere Menschen einlassen
«Wir Menschen sind für Menschen geschaffen. Wir brauchen einander. Beziehungen sind so etwas Wichtiges. Die Grenzen bei Beziehungen dürfen bei jedem unterschiedlich sein. Aber ich möchte alle ermutigen, sich irgendwo auf andere Menschen einlassen.»
«Grenzen sind sehr wichtig, aber sie sollen uns schützen und nicht isolieren. Wir können uns immer wieder fragen: Wo schützen mich die Grenzen und wo bedeuten sie eine Gefahr, zu Mauern zu werden und uns wieder zu isolieren?», so Oesch. Ein weiterer Punkt sei, dass wir Grenzen ganz bewusst wählen, uns mit ihnen auseinandersetzen und auch fragen, warum wir diese Grenzen setzen.
Ein paar praktische Tipps von Janine Oesch zur Thematik «Ja oder Nein sagen»:
Erstens: Unsere Werte und Prioritäten klären. Bevor wir Grenzen setzen, sollen wir uns fragen, was uns wirklich wichtig ist. Welche Werte möchten wir in unseren Beziehungen leben? Wenn uns das klar ist, können wir bewusster Ja oder Nein sagen. Hilfreich ist, wenn wir uns die Werte aufschreiben.
Zweitens: Lernen, liebevoll Nein sagen.
Drittens: Klare, aber flexible Grenzen setzen und in Beziehung bleiben. «Grenzen sind keine Mauern, sondern sollen viel mehr Türen sein, die sich je nach Situation öffnen oder schliessen dürfen», erklärt Oesch. Wir dürfen immer wieder entscheiden, wo wir flexibel sind und wo nicht.
Viertes. Akzeptieren, dass nicht alle Menschen unsere Grenzen gut finden; vor allem, wenn wir häufig oder immer Ja gesagt haben. Hier ist Klarheit in uns gefragt, damit wir unsere Grenzen nicht wieder in Frage stellen oder uns schlecht fühlen.
Fünftens: Überlegen, was unsere Energiequellen sind und was uns selbst guttut. Wenn wir nämlich immer wieder auftanken können, dann können wir zu gewissen Dingen auch Ja sagen.
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