Von Simon Weinreich
Vor ein paar Jahren sah ich ein Bild einer englischsprachigen Kirche. Vor der Kirche war ein Schild aufgespannt. Darauf stand: «G O D I S N O W H E R E». Warum schreiben die vor ihre Kirche «God is nowhere» – Gott ist nirgends?
Müsste die Kirche nicht genau das Gegenteil vertreten und «Gott ist hier» auf ihre Plakate schreiben? Beim wiederholten Lesen ist es mir dann aufgefallen: Der Satz kann ja auch anders gelesen werden. «God is now here» – Gott ist jetzt hier. Geniales Wortspiel! Und irgendwie passt das auch zu meiner Gotteserfahrung. Wie oft habe ich mir schon gewünscht, dass ich Gott konkret erlebe. Durch Zeichen und Wunder, durch einen tiefen inneren Frieden, den die Welt nicht geben kann, oder vielleicht auch nur als feinen Windhauch. Aber manchmal bleibt Gott stumm, unsichtbar, fern – eben «God is nowhere» – Gott ist nirgends.
«God is nowhere» zu «God is now here»
Seit ein paar Jahren baue ich regelmässig Meditationszeiten in meinen Alltag ein. Ich werde still und richte mich innerlich auf Gott aus. Und zwar tue ich das, ob ich gerade Lust dazu habe oder nicht, ob ich gerade eine volle To-do-Liste habe oder nicht. Manchmal kostet es mehr Überwindung, manchmal ist es einfacher. Aber wie Fulbert Steffensky sagt: «Formen gürten den Geist und helfen dem Menschen, seiner Beliebigkeit und Zufälligkeit zuentkommen. Gewohnheiten befreien uns von der Zufälligkeit unserer Stimmungen und Wünsche.» Es tut gut, eine Regelmässigkeit, eine Gewohnheit zu trainieren. Manchmal halte ich einfach die Gottesferne aus. Es scheint dann so, als sei Gott nirgends – oder zumindest nicht bei mir auf meiner Gebetsbank. Aber dann gibt es immer wieder diese kostbaren Momente, wenn der Satz sich wendet von «God is nowhere» zu «God is now here». Und es passt gut, dass ein einziger Leerschlag den Unterschied macht. Solche Leerschläge brauchen wir in unserem vollgepackten Alltag. Zeiten der Leere, der Stille, damit das geschehen darf, was Franz Jalics folgendermassen beschreibt: «Die Stille arbeitet in der Tiefe. Wer sich im Gebet in der völligen Leere dem Blick Gottes aussetzt, erlebt mit der Zeit durch das stille Dasein Frieden und Ausgeglichenheit auch im Alltag.»