Schwester Silvia steht im Museum des KZ Bisingen. Ihr Blick fällt auf das Bild, auf dem ihr Grossvater unverwandt in die Kamera blickt. «Da wurde mir bewusst: Das ist mein Fleisch und Blut.» Diese Erkenntnis reisst Silvia den Boden unter den Füssen weg. Gleichzeitig ist es ein erster Schritt in die Freiheit.
Es hängt in der Luft
Silvias Familie spricht kaum darüber, doch die Tatsache beeinflusst ihr ganzes Leben. «Wir wussten, dass Grossvater ein Konzentrationslager führte, aber es war ein Tabu, darüber zu sprechen.» Es gilt die unausgesprochene Regel: «Schweig, tu deine Sache und schau, dass niemand nachfragt. » So lernt Silvia früh zu schweigen und gerät deshalb nicht selten in die Opferrolle. «Ich war ein angepasstes, scheues Mädchen, das nie gelernt hat, zu sich zu stehen.»
Die Schuldgefühle bleiben
Die Scham über die Tätigkeit ihres Grossvaters und die Angst, dass es jemand erfahren könnte, begleiten Silvia viele Jahre. Auch als sie mit 21 Jahren in die Kommunität Diakonissenhaus Riehen eintritt, behält sie ihr Geheimnis für sich. In den nächsten 20 Jahren erreicht Silvia, die sich nun Schwester Silvia nennt, viel. Sie absolviert eine Bibelschule, leitet das Sekretariat des Diakonissenhauses, absolviert die Ausbildung zur Bewegungspädagogin Franklin-Methode® und gibt Kurse für Kinder und Erwachsene. Doch in aller Geschäftigkeit holen sie immer wieder die Schuldgefühle ein, die sie seit ihrer Kindheit kennt.
Der Vergangenheit auf der Spur
Eines Tages von einem Freund auf ihre komische Vaterbeziehung angesprochen, wird Silvia der Zusammenhang mit ihrem Grossvater klar. Nun will sie endlich Klarheit und beginnt zu forschen. So sucht sie im Internet nach dem Konzentrationslager Bisingen und stösst auf das Bild ihres Grossvaters. «Zu lesen, was in dem KZ passiert ist, hat mich schwer erschüttert.» Fest entschlossen nicht mehr wegzusehen, reist sie nach Bisingen. Sie weiss, dass dort die Fotos der Haupttäter ausgestellt sind. Nicht vorbereitet ist sie auf die Gefühle, die sie beim Anblick ihres Grossvaters übermannen: «Ich hatte das Verlangen, das Bild von der Wand zu reissen, zu schreien und glaubte, in Ohnmacht zu fallen.»
Der Befreiungsschlag
Silvia merkt, wie sie gerade ein grosses Tabu ihrer Familie bricht. Ihr wird bewusst: «Sehr vieles in meiner Familie kommt aus dieser Tatsache und dem Schweigen darüber.» Um dies zu verarbeiten, sucht sie professionelle Hilfe; beginnt ihre Schuldgefühle abzulegen und darüber zu sprechen. Viele in ihrem Umfeld sind damit überfordert und Silvia schreit oft zu Gott: «Warum muss ich das erleben?» Gott gibt ihr die klare Antwort: «Ich will dich brauchen, dass du anderen helfen kannst ihr Schweigen zu brechen, um Heil werden zu können.» So spricht Schwester Silvia heute öffentlich über ihre Vergangenheit und macht anderen Mut: «Schweigt nicht über eure Geschichte – nur so kann Heilung geschehen!»