Die Psychotherapeutin Julia Wegmann bezeichnet Selbstmitgefühl als eine Fähigkeit oder innere Haltung. «Sich selbst liebevoll, akzeptierend und mit Freundlichkeit zu behandeln, besonders in Zeiten von Schwierigkeiten: Wenn ich einen Fehler gemacht habe, gescheitert bin, Misserfolg gehabt habe oder Leid erlebe.» Wir sollen eine innere Haltung haben, wo wir uns selbst gegenüber wohlwollend sind, so wie zu einer guten Freundin oder einem guten Freund.
Doch einfacher gesagt als getan: In einer Studie zeigte sich, dass die inneren negativen Stimmen und Kritiker sehr präsent sind. Drei Viertel der Teilnehmenden sagten, dass sie sich selbst abgewertet, bekämpft oder beschimpft hatten.
«Es ist wichtig, dass man lernt, mit diesen kritischen Stimmen einen anderen Umgang zu finden, damit es einem besser gehen kann.» Denn die inneren Dialoge haben einen entscheidenden Einfluss auf unser Wohlbefinden, so Wegmann.
Selbstmitgefühl ist jedoch nicht zu verwechseln mit Selbstmitleid. Bei letzterem denken wir, dass wir arm dran sind und alles Schlimme nur uns passiert.
Selbstmitgefühl hingegen ist die Haltung, dass nicht nur wir, sondern auch andere Menschen leiden müssen. Wegmann erklärt: «Im Leben gibt es Leiden. Ich sehe meinen eigenen Schmerz mehr im Licht von einer gemeinsamen menschlichen Erfahrung. Auch anderen Menschen geht es so. Ich nehme erst einmal wahr, dass ich Schmerzen oder Leid habe. Aber ich versinke nicht derart darin, dass ich mich selbst bemitleide. Ich erkenne: Es geht nicht nur mir so, sondern auch anderen.»
Es gibt das Missverständnis, dass Selbstmitgefühl nur für Schwache und Weichlinge sei. Wegmann verneint dies: «Selbstmitgefühl zu zeigen braucht Mut. Ich muss mich dem eigenen Schmerz zuwenden. Wir haben alle eine innere Abwehr in uns drin, dass wir die negativen Emotionen oft eher vermeiden wollen. Selbstmitgefühl heisst aber: Ich schaue genau hin, was mit mir los ist. Ich gehe in den Schmerz rein, muss ihn fühlen, wahrnehmen. Das braucht tatsächlich sehr viel Mut.»
Alle Gefühle ignorieren und weitermachen, ohne auf sich zu hören, sei nicht die Lösung. «Selbstmitgefühl heisst: Ich schaue ganz genau. Es geht darum, sich selbst zuzuwenden, den Blick nach innen zu richten und zu schauen, wie es mir geht und was ich brauche, damit es mir wieder besser geht.»