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Lasst uns Hoffnung mehr zum Thema machen!

Themen zum Thema machen schafft Identität.
Publiziert: 14.05.2020

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Von Andreas Walker

Die Themen, die wir in unseren Predigten, Sendungen und Büchern aufgreifen, prägen unsere Identität – sowohl unsere externe Reputation in Medien und Gesellschaft als auch unser persönliches Selbstverständnis.

Gewisse Bibelstellen und Themen werden von Boulevard-Medien, Social-Media- Aktivisten und an Stammtischen gerne und regelmässig mit uns als Christen in Beziehung gebracht. Andere sind in den letzten Jahrzehnten eher vernachlässigt worden, sowohl in unserer Aussenwahrnehmung als auch in unseren eigenen Kreisen und Medien.

Die Christen sind eine Glaubensgemeinschaft – und …
Ich möchte hier den Blick auf ein Thema und auf eine Bibelstelle lenken, die beide viel zu wenig bekannt und bewusst sind, obwohl sie programmatischen Charakter für uns als Christen haben könnten. Nein, ich meine weder Johannes 1,1 noch Johannes 11,25 noch Matthäus 28,19, sondern 1. Korinther 13,13 – die Definition der drei christlichen Tugenden von Paulus: Glaube, Liebe und Hoffnung.

Erstaunlicherweise handelt es sich dabei um einen Dreiklang. Als einer der avantgardistischen Vordenker der christlichen Szene stelle ich fest, dass wir meistens von unserem «Glauben» sprechen. Wir verstehen uns als «Glaubensgemeinschaft». Wir beziehen uns auf ein «Glaubensbekenntnis». Zudem steht in vielen Disputen an unseren Instituten und in unseren Hauskreisen, in unseren Predigten und Texten der «richtige Glaube» im Zentrum. Wir definieren unsere eigene Identität als «gläubige Christen». Es ist wohl auch kein Zufall, dass aktuell die Apologetik ein Comeback feiert als die eloquente und brillante Rechtfertigung unserer christlichen «Glaubenslehrsätze». Aber Paulus erwähnt den Dreiklang Glaube, Liebe und Hoffnung.

Hoffnung ist ein christliches Thema
«Hoffnung» ist in den letzten Jahrzehnten überraschend selten ein christliches Thema gewesen – weder als Thema, mit dem wir uns in unseren Instituten, Kirchen und Predigten selbst befassen, noch als ein Thema, das die Öffentlichkeit als spezifisch christlich verstehen würde. So zeigt das seit Jahren regelmässig erhobene Hoffnungsbarometer bei der Frage «Wer vermittelt Ihnen in schwierigen Zeiten Hoffnung?», dass «Gott» auf dem 13. und «PfarrerInnen, Priester, Geistliche, spirituelle Führer» sogar nur auf dem 16. Rang landen.

Jedoch finden wir weit über 100 Bibelstellen, die uns zu Hoffnung aufrufen und uns motivieren, dass wir auch bei grössten Bedrohungen und Herausforderungen zuversichtlich sein und keine Angst haben sollen. In der von Augustinus im 4. Jahrhundert formulierten Gnadenlehre findet eine intensive Reflexion über die christliche Hoffnung, den Glauben und die Liebe statt. Im Spätmittelalter befasste sich der Kirchenlehrer, Theologe und Philosoph Thomas von Aquin mit Hoffnung als Affekt und als Tugend. Der Theologieprofessor Jürgen Moltmann formulierte 1964 eine «Theologie der Hoffnung» als Antwort auf Ernst Blochs «Das Prinzip Hoffnung» von 1959 und Papst Benedikt XVI. schrieb 2007 die «Enzyklika Spe Salvi» über die christliche Hoffnung.

Eigentlich wäre es eine spannende akademische Aufgabe für unsere vielen Theologiestudierenden, empirisch aufzuarbeiten, ob «Hoffnung» und welche anderen Themen in unseren Predigten, Worship-Songs, Medienbeiträgen und Büchern aufgegriffen werden. Wie würde demnach das tatsächliche Portfolio unserer christlichen Themen aussehen und wie trägt dies zur Identitätsbildung unserer Kirchen bei? Deckt sich dieses Issue Management der kirchlichen Themen mit der Häufigkeit dieser Themen in der Bibel? Lassen sich Schwerpunktthemen, Phasen und Meinungsmacher erkennen? Und werden schliesslich die externen journalistischen Berichte über die Kirchen dieser Verteilung gerecht?

Wir sind herausgefordert, unsere Hausaufgaben zu machen
«Hoffnung» ist in der ganzen Bibel wieder und wieder ein Thema – sowohl zukunftsund jenseitsorientiert wie auch gegenwartsund diesseitsorientiert. «Hoffnung» ist eine der drei christlichen Tugenden, die Paulus nennt – und doch kommen weder Medien noch Öffentlichkeit noch wir selbst auf die Idee, uns als Hoffnungsgemeinschaft zu bezeichnen. In schwierigen Zeiten und Fragen wie der aktuellen Corona-Krise und der drohenden wirtschaftlichen Rezession gelten unsere Kirchen nicht als Kompetenzzentren. Unsere Professoren, Pfarrer und Führungsgremien werden nicht als Fachleute in Sachen konkrete Hoffnung um Rat und Unterstützung gebeten.

Vielleicht sollten wir dies ändern. Vielleicht sollten wir vermehrt die zahlreichen Bibelstellen zur Hoffnung, die theologischen Gedanken von Augustinus, Thomas von Aquin, Jürgen Moltmann und Papst Benedikt XVI. aufgreifen und sowohl in unserem Kirchgemeindeleben vor Ort als auch in den christlichen Medien gezielt und lebensnah thematisieren.

Einen ersten kleinen Schritt haben wir in einem kleinen Freundeskreis seit 2009 unternommen, seither erheben wir mit dem Hoffnungsbarometer jährlich und systematisch Daten zur Hoffnung in der Schweiz und in anderen Ländern. Auf dieser empirischen Grundlage machen wir Hoffnung zum Thema an wissenschaftlichen Konferenzen und in verschiedenen allgemeinen und gerade auch spezifisch christlichen Medien. 2018 haben wir die «Positive Psychologie der Hoffnung» als wissenschaftliche Publikation geschrieben.

Aufgerüttelt durch die Realität
Als Gesellschaft sind wir 2020 durch die Corona-Krise aufgerüttelt worden. Neben der medizinischen Gefährdung fragen wir uns voller Sorge, welches die wirtschaftlichen Folgen sein werden. Mancher wird in den kommenden Monaten massiv in seinen persönlichen Finanzen betroffen sein.

Doch nicht erst jetzt sind Ungewissheit, Hoffnungslosigkeit und unklare Perspektiven ein Problem: Suizid ist seit Jahren ein häufig unterschätztes Gesundheitsproblem in der Schweiz, er ist die vierthäufigste Todesursache nach Krebs, Kreislauferkrankungen und Unfällen. Dabei sind etwa doppelt so viele Männer wie Frauen betroffen, zudem steigt die Suizidrate bei Männern mit dem Alter stark an. Die Hälfte von uns sind geschieden, mehrheitlich geht dabei die Initiative zur Trennung von den Frauen aus. Über ein Fünftel der Erwerbstätigen leiden sehr stark unter Stress am Arbeitsplatz.

Rund zehn Prozent leiden an Depressionen, dabei sind Frauen und junge Menschen stärker betroffen.

Reden über (christliche) Hoffnung – aber bitte richtig
Wie zynisch klingt es für manche Betroffenen, wenn sie dabei von ihren christlichen Freunden hören: «Wir wollen für Dich beten» und «Der Herr segne Dich». Wie verletzend und niederdrückend kann billige, ja gar schäbige religiöse Hoffnungsmacherei sein. Wir müssen eine Kultur der Hoffnung entwickeln, gerade auch in den christlichen Medien, die konkret Gutes bewirkt, Lebenswille und Lebensfreude schenkt. Wir sind herausgefordert, eine konkrete und wirksame Hoffnungskompetenz zu entwickeln und deren Erkenntnisse zu verbreiten.

Ja, sicher müssen wir dringend unsere Hausaufgaben machen und selbst das Thema «Hoffnung» theologisch, philosophisch und psychologisch aufarbeiten und in der Ausbildung unserer Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakone und Seelsorger sowie ehrenamtlichen Mitarbeitenden stärker gewichten. Aber wir müssen einen Schritt weiter gehen und für den konkreten menschlichen Alltag wirksam werden.

Ja, sicher berühren wortgewaltige Evangelisten durch ihre Predigten unsere Seelen. Aber der christliche Glaube soll eine konkrete und nachhaltige Wirkung der Hoffnung in unseren Leben zeigen. Und ja, es stehen nun auch ganz konkrete politische und soziologische Debatten an, wenn wir die Folgen der Corona-Krise in Wirtschaft und Gesellschaft bewältigen wollen.

Doch wenn es gemäss den Umfragewerten des Hoffnungsbarometers eben gerade nicht die Pfarrerinnen und Pfarrer sind – wer sind dann die Hoffnung stiftenden Menschengruppen? In der Bibel und in den Studien zum Hoffnungsbarometer zeigt sich, dass «Hoffnung» in engem Bezug zu konkreten Lebenserfahrungen und gerade auch zu Ausdauer steht. In den Briefen von Paulus findet sich in den alten deutschen Bibelübersetzungen mehrmals das altertümliche aber starke Wort «Langmut». Wir brauchen also mehr konkrete Lebensgeschichten als Vorbilder von Menschen, die Lebenskrisen durchgestanden haben.

Nicht nur emotional berührende und spektakuläre Vorher-Nachher-Bekehrungsgeschichten, sondern mehr authentische Erfahrungsberichte über die schweren Zeiten unseres Lebens, seien dies Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Burnout, die ermutigen, indem sie aufzeigen, wie andere Menschen nicht aufgegeben haben. Wir brauchen mehr Interviews mit Menschen, die in ihren Lebenskrisen gescheitert und gestrauchelt sind und lange ringen mussten, bis ihr Leben wieder eine gerade Spur fand. Denn «Hoffnung» ist kein gutes Gefühl oder Erfolgsrezept, sondern eine Haltung, die Hand in Hand mit Lebens- und Durchhaltewille geht.

Die Erkenntnisse des Hoffnungsbarometers zeigen uns, wie wichtig uns unsere Nächsten aus Ehe und Familie und die vielen «Helden des Alltags ohne grossen Namen» sind. Wir suchen keine grossen geistlichen Theorien und keine spektakulären Geschichten erfolgreicher Helden, sondern stattdessen sehnen wir uns nach einfachen, konkreten Lebensgeschichten, die uns zeigen, dass wir in unseren Glaubens- und Lebenszweifeln, in unserer Hoffnungslosigkeit und in unserer Verzweiflung nicht alleine sind, sondern dass schon andere, ganz normale Menschen, ihre Lebenskrisen durchstanden und wieder zu Lebenswillen und Lebensfreude gefunden haben. Jesus und die Bibel standen in der Tradition der orientalischen Geschichtenerzähler. Heute leben wir in einer Epoche der elektronischen Medien, der Social Media und des Internet. Wenn wir also als Christen aus der Bibel lernen wollen, dann bedeutet das doch, dass wir mehr gute, medial aufbereitete Lebensgeschichten der Hoffnung brauchen, die ehrlich und glaubwürdig die Schattenseiten und durstigen Jahre einbeziehen.

Im vertraulich-seelsorgerlichen Gespräch, in der Predigt und in den christlichen Medien
Wenn wir das biblische Thema «Hoffnung» als Christen wieder zum Thema machen wollen, dann kann dies nicht eine Entwederoder- Frage sein. Denken wir an meinen Anfangsgedanken zurück – Themen, die wir zum Thema machen, prägen unsere Identität, sowohl unsere externe Reputation als auch unser persönliches Selbstverständnis.

Die Corona-Krise 2020 zeigt uns eindrücklich, dass neben der traditionellen hölzernen Kanzel die virtuelle Kanzel auf YouTube und im Livestream immer wichtiger werden. Lesen und Schreiben sind wichtige Kompetenzen, die uns in den letzten Jahrhunderten den Weg in die Bildungs- und Wissensgesellschaft ermöglicht haben. Aktuell erleben wir im Internet und beim Medienkonsum, dass Reden, Zuhören und Zuschauen ein Comeback erleben.

Jesus war sowohl ein Geschichtenerzähler wie auch ein persönliches Vorbild der Hoffnung. Als Christen wollen wir Jesus-Nachfolger sein. So liegt es nun an uns, aktuelle Lebensgeschichten der Hoffnung zu finden und weiterzuerzählen – und auch mit unserem eigenen Leben eine Geschichte der Hoffnung zu leben. Insbesondere in Zeiten von Ungewissheit und Ängsten wie bei der aktuellen Corona-Krise.

 

Zur Person
Dr. Andreas M. Walker (1965, Basel) zählt zu den führenden Zukunftsexperten der Schweiz. Er berät Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Kirche zu den anstehenden grossen Veränderungen. Als ehemaliger Co-Präsident von swissfuture begründete er 2009 das «Hoffnungsbarometer» als Antwort auf das Phänomen der «German Angst». Er referierte 2011 am Tag der Kirchen am Rheinknie in Basel und am Deutschen Kirchentag in Dresden, 2016 am Forum christlicher Führungskräfte in Bern und er wird am Kongress christlicher Führungskräfte 2021 in Berlin auftreten.
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