Text: Michael Kämpf
Eine normale «Wohnungstür» in einem Block an der Langstrasse – so sieht die Zentrale von «Heartwings» von aussen aus. Drinnen kommt man in eine Art Wohnzimmer. Es stehen zwei Sofas bereit, ein Tischchen in der Mitte, eine Kaffeemaschine und ein Kühlschrank. Dort empfangen mich Jael Schwendimann (Mitarbeiterin von Heartwings) und Grazia*.
Gleich links von der Eingangstür befinden sich fünf Einbauschranktüren, die alle mit Wandtafelfarbe übermalt sind. Darauf stehen in verschiedenen Farben kurze Aussagen wie:
«Eine Family, ein Hund, Kinder»
«Pilotin»
«Audi R8»
«In Dubai leben»
«Menschen in Not helfen».
Über allem in grosser Schrift ist zu lesen: «I Have A Dream». Wenn Frauen neu zu Heartwings kommen, dann dürfen sie hier ihre Träume aufschreiben. Das sei sehr wichtig für sie, weil man in ihrem Milieu das Träumen verlerne – so wird mir diese Wand erklärt.
Der gemeinnützige Verein «Heartwings» wurde 2008 gegründet und arbeitet an der Zürcher Langstrasse unter Prostituierten. Auf ihrer Website beschreiben sie ihre Vision folgendermassen:
«Wir arbeiten im Rotlichtmilieu und begegnen täglich Menschen mit zerbrochenen Herzen und gescheiterten Träumen. Unser Logo und der Name Heartwings stehen dafür, dass Veränderung immer möglich ist. Wir setzen uns dafür ein, dass zerbrochene ‹Herzen› wiederhergestellt werden und Träume fliegen lernen.»
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Heartwings wirklich im Milieu arbeitet. Sie besuchen aktiv die Nachtclubs, Bordelle und Puffs in der Gegend, suchen die Prostituierten auf, schenken ihnen Aufmerksamkeit, hören ihnen zu und beschenken sie mit Hygieneartikeln, Nahrungsmitteln und bieten an, ihnen zu helfen. In ihren Büroräumlichkeiten veranstalten sie auch die sogenannte Ladies Lounge. Das ist ein ganzes Zimmer, gefüllt mit Schuhen, Kleidern, Schmuck und Kosmetikartikeln. Regelmässig dürfen die Frauen aus dem Milieu hier vorbeikommen und sich kostenlos mit dem eindecken, was sie benötigen. Alle Artikel, die Heartwings in der Ladies Lounge anbietet, sind Sachspenden, welcher der Verein erhalten hat.
Jael Schwendimann arbeitet seit 8 Jahren für Heartwings. Im Interview gibt sie mir einen Einblick in ihre Arbeit, erzählt, wie ihr Arbeitsalltag aussieht, und wie es den Menschen geht, die sich in der Schweiz prostituieren (müssen). Grazia ist eine junge Frau Anfang zwanzig, die selbst mit 18 Jahren in die Prostitution gerutscht ist. Sie erzählt mir, wie es dazu kam und wie Heartwings ihr geholfen hat, aus diesem Leben wieder auszusteigen.
*Name geändert