Konflikte bringen uns weiter

Mit Empathie geht vieles besser
 
Publiziert: 20.05.2019

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Von René Meier

Vermutlich schätzen die wenigsten von uns Konflikte und schwierige Gespräche. Wir stehen dabei vor einer doppelten Herausforderung, die manchmal kaum zu bewältigen ist. Einerseits will ich mein Anliegen erklären, verstanden werden und Recht bekommen. Andererseits will ich das Verhältnis zum anderen nicht belasten. Meistens muss ich ja weiterhin mit ihm zusammenleben und zusammenarbeiten.

Gerade der zweite Aspekt ist ein Hauptgrund, weshalb wir Konflikte lieber auf die lange Bank schieben. Wir fürchten uns vor der Reaktion des anderen und davor, dass uns die Argumente ausgehen könnten. Allerdings ist unsere Angst vor dem Konflikt im Kopf oft grösser als die Realität. Christen stehen zudem in der Gefahr, Konflikten auszuweichen, weil sie doch für Frieden und Harmonie sind! Deshalb neigen sie zumindest im kirchlichen Umfeld dazu, schwelende Konflikte unter dem Teppich zu halten. Lieber fressen sie alles in sich hinein und machen nach aussen gute Miene zum bösen Spiel – oder verbreiten Gift und Galle über den anderen, statt mit ihm selbst zu reden. Das aber ist nicht «Frieden und Harmonie»! Es müsste uns schon zu denken geben, wie häufig Jesus Konflikte mutig angepackt oder sogar bewusst entfacht hat!

Vergessen wir nicht: Probleme, die man nicht löst, trifft man immer wieder. Ohne schwierige Gespräche und ohne Konflikte gibt es häufig keine Klärung, keinen Wandel, keine neuen Erfahrungen und keine Verbesserungen. Darum: Keine Angst vor Konflikten!

Wie aber packt man ein schwieriges Gespräch geschickt an?

Dazu muss man die Mechanismen verstehen, nach denen ein schwieriges Gespräch abläuft. Es läuft blitzschnell in fünf Phasen ab, die sich bei mir und beim anderen laufend wiederholen:

1. Ereignis

2. Interpretation

3. Gefühle

4. Empathie

5. Reaktion

Man kann sich diese fünf Phasen mit dem Stichwort «EIGER» merken. Das macht auch deshalb Sinn, weil ein schwieriges Gespräch manchmal so anspruchsvoll ist wie das Erklimmen der Eigernordwand.

Ein Ereignis bringt alles ins Rollen

Wir reden viel den lieben langen Tag. Die meisten dieser Gespräche sind freundlich und problemlos. Aber es gibt Dinge, die uns ins Herz stechen. Der andere hat etwas gesagt oder gemacht, was uns geärgert, verletzt oder verunsichert hat. Vielleicht hat er sich auch im Ton vergriffen. Wir bezeichnen das als «Ereignis».

Nehmen wir ein einfaches Beispiel für ein Ereignis, das ich vor einiger Zeit erlebt habe. Es war an meinem freien Tag. Ich hatte es mir auf dem Sofa bequem gemacht und freute mich auf ein gutes Buch. Kurz darauf hörte ich, wie meine Frau im Garten leise und doch hörbar vor sich hersagte: «Ja, und den Rasen sollte man auch noch mähen.»

Interpretation

Für mich waren diese Worte das Ereignis. Und nun passierte etwas Zweites: Ich interpretierte diese Worte.

Beim Interpretieren sind wir äusserst kreativ!

• Das hat sie nur gesagt, damit ich endlich aufstehe und den Rasen mähe.

• Das hat er nur gesagt, um mich zu ärgern.

• Das hat sie nur getan, um sich wichtig zu machen.

• Das hat er so dargestellt, um sich aus der Verantwortung zu ziehen.

Dummerweise täuschen wir uns atemberaubend häufig in unserer Interpretation. Deshalb gibt es beim Kommunizieren so viele Missverständnisse. Der Kommunikationsfachmann Schulz von Thun nennt vier Grundformen von Interpretationen. Er spricht von vier Ohren, mit denen ich eine Botschaft hören kann:

Mit dem Sach-Ohr höre ich die Botschaft rein sachlich. Hier hätte ich hören können: «Ja, den Rasen sollte man auch noch mähen.»

Dann hätte ich innerlich genickt und zufrieden weitergelesen. Ob meine Frau dann auch zufrieden gewesen wäre, ist eine andere Frage … Mit dem Selbstoffenbarungs- Ohr höre ich, was der andere mit einer Botschaft über sich selbst sagt. Auf diesem Ohr sind wir häufig völlig taub. Mit dem Beziehungs-Ohr höre ich, was der andere mit einer bestimmten Botschaft angeblich über unsere Beziehung sagt. Da wird es sehr heikel. Mit dem Appell-Ohr hört man eine Botschaft als Auftrag. Mit diesem Ohr habe ich die kleine Bemerkung meiner Frau damals gehört. Und es hat mir nicht gefallen!

Sie sind die wichtigste Person

An dieser Stelle des EIGER-Modells entdecken wir etwas Grundlegendes: Wie ich ein Ereignis interpretiere, hängt stark mit meiner Persönlichkeit und mit meiner aktuellen Verfassung zusammen und nicht mit dem, was der andere sagt und tut.

Am einfachsten kann man schwierige Gespräche mit Menschen führen, die mit sich selbst im Lot sind und ein gesundes Selbstbewusstsein haben; mit Menschen, die Humor haben und sich nicht so furchtbar ernst nehmen und mit Menschen, die nicht immer Recht haben müssen und gut zuhören können.

Und wie wird man ein solcher Mensch? Vier innere Haltungen können uns auf diesem Weg helfen:

  • Seien Sie dankbar für das, was Sie haben, statt sich mit anderen zu vergleichen.
  • Überwinden Sie ungesunde innere Antreiber und Festlegungssätze.
  • Gönnen Sie sich selbst Gutes. Seien Sie auch sich selbst gegenüber grosszügig.
  • Versöhnen Sie sich mit Ihrer Vergangenheit.

Gerade der vierte Punkt ist zentral. Viele Menschen tragen Wunden, Enttäuschungen und Vorurteile mit sich herum. Und das wiederum beeinflusst natürlich, wie sie mit anderen umgehen – gerade in schwierigen Situationen. Es ist eine einfache, aber harte Wahrheit, die wir als Menschen lernen müssen: Andere haben in meinem Leben ein Durcheinander angerichtet. Aber aufräumen muss ich selbst.

Diese Erkenntnis ist ein befreiender Weg, denn ich muss mich nicht länger als Opfer derer fühlen, die bei mir so viel durcheinandergebracht haben. Ich darf loslassen und selbst wieder frei und aktiv werden. Ich kann aus dem Schatten der anderen heraustreten. So kann ich verhindern, dass ich ständig aus meinen Verletzungen, Zurückstellungen und Defiziten heraus reagiere.

Christen wissen um die enorme Energie, die Vergebung freisetzen kann. Sie kennen diese Energie, weil sie selbst erlebt haben, wie befreiend die Vergebung ist, die Jesus Christus ihnen schenkt. Und wo Dinge nicht im Lot sind, finden Christen in der Seelsorge und Beratung Hilfe und Heilung. Deshalb sind Christen Pioniere im Vergeben. Sie haben keinen Grund, schuldiges Verhalten des andern im Bunker ihres Herzens zu konservieren. Sie können durch die Kraft des Heiligen Geistes loslassen und vergeben – selbst wenn der andere nicht um Verzeihung bittet. So können sie sich mit ihrer Vergangenheit versöhnen und lernen, kompetent und reif zu handeln. Die Bibel mit ihren vielen Geschichten ist übrigens eine Fundgrube für Konfliktbewältigung.

Gefühle gaukeln uns Realität vor

Nach der Interpretation eines Ereignisses tauchen die entsprechenden Gefühle auf. Bei schwierigen Gesprächen sind immer Gefühle im Spiel. Interessant und aufschlussreich ist, dass unsere Gefühle nicht das Resultat des Ereignisses sind, sondern die Folge unserer Interpretation.

Hätte ich die «Rasenbemerkung» meiner Frau mit dem Sach-Ohr gehört, hätte mich dieser kleine Satz nicht gestresst.

Hätte ich die Bemerkung mit dem Selbstoffenbarungs- Ohr gehört, wäre ich vielleicht aufgestanden und wäre zu meiner Frau in den Garten gegangen. Dann hätte ich gemerkt (was damals tatsächlich der Fall war!), dass ihr die ganze Gartenarbeit im Moment einfach über den Kopf wuchs und sie mir meine Ruhe durchaus gönnte. Soweit die Theorie! … Tatsächlich habe ich die Bemerkung mit dem Appell-Ohr gehört, bin ziemlich verärgert aufgestanden und habe den Rasen missmutig gemäht. Das Resultat war kein Golfrasen! Und schliesslich wurde meine Frau ziemlich verstimmt, weil ich so knurrend über den Rasen raste.

Wenn in uns aufgrund unserer Interpretation eines bestimmten Ereignisses entsprechende Gefühle auftauchen, stehen wir in der Gefahr, aus diesen Gefühlen – aus dem Bauch heraus – zu reagieren. Ich bin überzeugt, dass die meisten Spannungen und Missverständnisse in Beziehungen durch fehlerhafte Interpretationen und durch voreilige Reaktionen entstehen. Bevor wir reagieren, sollten wir deshalb ganz bewusst eine Pause machen. Das, was in dieser kleinen «Pause» passiert, kann man mit dem Wort Empathie bezeichnen.

Empathie ist das Schlüsselwort

Empathie bedeutet, mit meiner Reaktion zuerst einen Augenblick zu warten, um den anderen so gut wie möglich zu verstehen und mich in ihn hineinzudenken. Wenn ich sofort reagiere und keine Empathie zeige, dann versuche ich gar nicht, den anderen zu verstehen. Zudem kehre ich mit einer empathischen Frage den Spiess um und gewinne Zeit. Ich befreie mich unter Umständen auch aus der Rolle des Angeklagten und fordere den anderen heraus, sich genauer auszudrücken.

So tönen gute Empathiefragen

  • Wie meinst du das?
  • Weshalb siehst du das so?
  • Was befürchtest du?
  • Was möchtest du mir damit sagen?
  • Was würdest du an meiner Stelle tun?
  • Fragen Sie nach, bis Sie genau verstanden haben, was der andere meint.
  • Fragen Sie nach einem konkreten Beispiel, wo sie auf Ihr Gegenüber beispielsweise anmassend und arrogant gewirkt haben, statt sich zu rechtfertigen.

So zu reagieren ist eigentlich gar nicht so schwierig. Aber weil es unserer menschlichen Natur widerspricht und wir es nicht lernen, ist empathisch zu reagieren trotzdem anspruchsvoll; mindestens so sehr wie eine Eigerbesteigung!

Warum zeigen wir dem anderen gegenüber häufig keine Empathie?

Einerseits sind wir es einfach nicht gewohnt, so zu reagieren. Andererseits haben wir das Gefühl, der andere hätte dann die Meinung, dass wir mit ihm einverstanden seien. Den anderen zu verstehen, bedeutet aber nicht, mit ihm auch einverstanden zu sein! Ich will ihn nur in seiner Welt verstehen.

 

Zur Person

René Meier (60) unterrichtete nach seiner pädagogischen Ausbildung in Luzern sechs Jahre als Primarlehrer. Im Anschluss an das Theologiestudium wirkte er sieben Jahre lang als Coach in einem schweizerischen Jugendverband. Während 11 Jahren moderierte er die Fernsehsendung «FENSTER ZUM SONNTAG» auf SRF zwei und interviewte rund 400 Gäste. Heute arbeitet er in einer Teilzeitstelle als Pfarrer in Lyss. Im Rahmen seiner Firma redens-art schult und berät er seit 2007 Unternehmen, soziale Institutionen und Kirchen in Kommunikation und sozialer Kompetenz. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Seine Hobbys sind Lesen, Reisen und sich in der Natur bewegen.

 

Das Buch zum Thema

René Meier: «Kompass für schwierige Gespräche»

Das Buch «Kompass für schwierige Gespräche» von René Meier entstand aus langjähriger Seminar- und Referatserfahrung. Im ersten Teil wird die innere Verfassung des Lesers in Verbindung mit seiner Kommunikation dargestellt. Im zweiten Teil wird das EIGER-Modell entfaltet. Im dritten Teil wird der reiche Schatz biblischer Kommunikation gezeigt. Das Buch kann beim Autor bestellt werden – auf Wunsch mit Widmung.

CHF 22.– inkl. Versand, zu bestellen bei www.redens-art.ch

© Online-Redaktion ERF Medien
 
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