Von Markus Mäder
«Wissen Sie, wie Sie Gott am besten zum Lachen bringen? – Nein? – Indem Sie ihm von Ihren Plänen erzählen!» Ja, Gott hat auch den Humor geschaffen. Besonders treffend ist, dass so viel Wahres darin steckt, wie es Salomo in seiner Weisheit auf den Punkt bringt: «Der Mensch plant seinen Weg, aber der Herr lenkt seine Schritte.» (Sprüche 16,9)
Je nachdem wie stark Ihr eigener Plan von dem von Gott abweicht, kann dann der Kurswechsel volle 180 Grad ergeben. So ist es dem Propheten Jona ergangen, als er die Stadt Ninive vor der Zerstörung warnen sollte, aber lieber auf einem Schiff in die entgegengesetzte Richtung vor dem Auftrag flüchten wollte.
Ich erlebe in meiner Laufbahnberatung immer wieder Erstaunliches: Die grosse Mehrheit der Kunden spürt oder erkennt sogar schon früh, dass ihr eingeschlagener Weg in eine Sackgasse oder sogar in den Abgrund führt. Und trotzdem reagieren sie zu spät oder unternehmen nichts. Nur eine kleine Minderheit leitet rechtzeitig eine Veränderung ein, damit sich der weitere Lebensweg wieder zum Positiven entwickelt.
Auf den zweiten Blick überrascht dieses eigentlich unlogische Verhalten nicht. Die Persönlichkeits-Typologienlehre von C. G. Jung und William M. Marston erklärt u. a., dass die wenigsten Menschen veränderungs- und entscheidungsfreudig sind. Darum wählen die meisten den bisherigen Weg, weil das Neue und Unbekannte Angst macht. Jedoch ist in den meisten Fällen die Wahrscheinlichkeit grösser, dass der alte Weg im Unheil endet, als das Risiko der Veränderung. Deshalb möchte ich Ihnen mit folgenden drei realen Beispielen (Namen geändert) Mut machen, dass es sich lohnt, aus einer drohenden Sackgasse abzudrehen:
Die Geschichte von Novak, 18 Jahre
Er hat sich in seine isolierte Welt verzogen, lebt im Internet und hängt mit einer jüngeren Freundin herum, welche ebenfalls aus der Spur gefallen ist. Das Einzige, das ihn noch interessiert, ist das Tätowieren. Im Keller des elterlichen Zuhauses übt er das Handwerk heimlich an seinen zwielichtigen «Freunden». Offiziell ist er krankgeschrieben, inoffiziell abgestürzt und perspektivenlos. Wie kam es so weit?
Als hochintelligentes Kind (IQ ca. 125), introvertiert, hypoaktiver AD(H)Sler hat sich Novak durch die Schulzeit gemogelt. Wegen seiner ausgeprägten Konzentrationsschwäche und Träumerei klappt es nicht mit einer geistigen Ausbildung, obwohl er dafür sämtliche Voraussetzungen mitbringt. Also wählt er als Plan B die Lehre als Zimmermann. Der Lehrbetrieb funktioniert unprofessionell und mit schlechter Führung und Lehrlingsbetreuung. Es kommt zum Lehrbetriebswechsel nach eineinhalb Jahren. Beim zweiten Arbeitgeber trifft er auf einen tyrannischen und empathielosen Chef, welcher an ihm kein gutes Haar lässt. Nach zwei Jahren – notabene zwei Monate vor den Abschlussprüfungen – klappt Novak zusammen: Erschöpfung, Depression, Ofen aus.
Als gläubige Familie besteht ein tragfähiges Netz. Seine Eltern leiden mit und geben nicht auf. Sie engagieren uns als Laufbahnberater. Dank der gemeinsamen AD(H)SBetroffenheit springt der Funke sofort über. Novak fasst Vertrauen und neuen Mut. Zuerst stabilisieren wir in Zusammenarbeit mit einem Facharzt das ausgeprägte ADS durch das Einstellen einer optimalen Medikation. Umgehend ist Novak wach, präsent und mit neuer Energie versorgt. Wir finden einen neuen Lehrbetrieb, welcher bereit ist, Novak in einem Praktikum zu testen. In diesen sechs Monaten räumen wir sein Leben neu auf: Drogenkonsum durch AD(H)S-Medikament ersetzen, tätowieren als Hobby und unter fachlicher Kontrolle, Nachwirkungen von Gesetzesübertretungen regeln. Nach harter Arbeit wird er mit einem Vertrag ab dem 4. Lehrjahr belohnt. In den ersten Monaten zieht Novak in eine eigene Wohnung um, nimmt das Training für die Auto- und Motorradprüfung wieder auf, wiederholt den Schulstoff, feiert seinen 20. Geburtstag, schafft die Note 5.2 im Semesterzeugnis und schliesst die Vertiefungsarbeit mit 5.0 ab. Optimales Teamwork von Novak, seinen Eltern, Berater sowie besonders der Gnade und Führung des Heiligen Geistes.
Eine Chance für Thomas?
Thomas ist 33 Jahre alt. Er steckt seit 15 Jahren im Strafvollzug durch eine «kleine Verwahrung» (Art. 59 StGB) fest, ohne Perspektive: keine Ausbildung, keine Ausbildungsmöglichkeit innerhalb des Strafvollzugs, stigmatisiert durch die Forensik, schwerste Gesundheitsprobleme, rund CHF 300 000.– Schulden wegen Verfahrenskosten und Schadenersatz und keine Aussicht auf Freiheit. Wie kam es so weit?
Thomas ist sensibel und ein Träumer. Seine Eltern scheiden sich früh. Die Behörden stecken ihn in Kinderheime und Pflegefamilien, wo er immer wieder abhaut. Eine AD(H)S-Abklärung fällt positiv aus, aber der Behandlungsversuch scheitert. So lebt Thomas mehr auf der Strasse als in Familie und Schule. Er mischt in einem Bandenkrieg mit, in welchem ein Jugendlicher totgeschlagen wird. Mit 18 Jahren beginnt die Knast-Karriere. Seine Gesundheit trägt schwerste bleibende Schäden davon. Das unbehandelte AD(H)S beschert ihm dauernd grossen Ärger, welcher seine Knast-Karriere unnötig verlängert, und tiefe seelische Verletzungen, welche er noch jahrelang verarbeiten muss.
Thomas nimmt das Seelsorge-Angebot der Heilsarmee in Anspruch. Dadurch wird ihm unsere Laufbahnberatung vermittelt. Dank der gemeinsamen AD(H)S-Betroffenheit springt der Funke ebenfalls sofort über. Thomas fasst Vertrauen und neuen Mut. Trotz Widerstand des Strafvollzugs erarbeiten wir eine berufliche Perspektive und organisieren eine Bürolehre EBA. Nun realisieren die Vollzugs- Verantwortlichen, dass diese Chance ein möglicher Weg sein könnte. So erhält Thomas die Genehmigung für ein Arbeitsexternat (draussen arbeiten, drinnen wohnen). Nun geschieht Erstaunliches, aber nicht Überraschendes: Thomas sieht endlich eine neue Perspektive für sein Leben, packt die Chance, arbeitet hart und hochmotiviert und entwickelt sich in Rekordzeit zum Mustersträfling. Das erste Semester schliesst er mit der Note 5.0 ab, trotz umfangreichem Aufarbeiten des Schulstoffes. Er wird mit dem Wohnexternat belohnt (draussen arbeiten, draussen wohnen, eine Nacht pro Woche drinnen) und erreicht die Note 5.7 im zweiten Semester. Thomas schafft auf souveräne Art den Abschluss als Büroassistenten EBA und wird mit dem Angebot einer verkürzten KV EFZ-Lehre belohnt. Er lässt sich überzeugen, sein AD(H)S behandeln zu lassen, und erfährt eine markante Stabilisierung. Die Vollzugs-Verantwortlichen sind überzeugt von der beeindruckenden Entwicklung von Thomas. Nur der Forensiker ignoriert die 180-Grad-Wende. Trotzdem hat der Albtraum der kleinen Verwahrung kurz nach dem Start der EFZ-Lehre ein Ende: Thomas wird bedingt entlassen. Die Vertiefungsarbeit schliesst er mit der Note 5.5 ab. Optimales Teamwork von Thomas, seinem Lehrbetrieb, Berater sowie besonders der Gnade und Führung des Heiligen Geistes.
Patrick, 40 Jahre, Burn-out
Kaderjob weg, Frau und Kinder weg, Gesundheit futsch, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Angst- und Panikzustände. No future. Die Krankentaggeldversicherung zwingt ihn zur IV-Anmeldung. Wie kam es so weit?
Patrick wird in der Schule gemobbt wegen seines ADHS. Als sportbegeisterter Jugendlicher macht er eine Sportartikel- Verkäuferlehre und probiert alle Trendsportarten selber aus. So kann er die Kunden auch noch bestens beraten. Er startet durch in seiner Karriere bis zum Filialleiter. Daneben gründet er eine Familie und wird Vater von zwei Kindern. Durch die stetig wachsenden Anforderungen und den hohen Druck, sich selber beweisen zu müssen, dass er etwas kann, beginnen die ersten Panikattacken. Mit seiner ausgeprägt hyperaktiv-impulsiven Art, ausserordentlichem Ehrgeiz und überdurchschnittlicher Intelligenz fährt er sein ganzes Leben ungebremst an die Wand. Sein Verkaufstalent hilft ihm, einen ehemaligen Geschäftsfreund und Filialleiter sowie die IV für ein Arbeitstraining in dieser Filiale zu überzeugen. Nun braucht es noch einen auf ADHS spezialisierten Jobcoach – so kommen wir zusammen. Als Erstes stellen wir die ADHS-Medikation optimal ein und beginnen einen sauberen Aufbau des Arbeitstrainings. Unter dem erhöhten Stress brechen seine Panikattacken immer häufiger durch. Sie sind so heftig und lang andauernd, dass der Prozess vorzeitig scheitert. Dank dem Netzwerkkontakt zu einem führenden Neurologen gewinnen wir die IV, den Prozess nicht abzubrechen, sondern für eine medizinische Abklärungsphase zu unterbrechen. Nach drei Monaten ist die zusätzliche Störung identifiziert und medikamentös stabilisiert. Wir starten einen zweiten Versuch mit durchschlagendem Erfolg. Innert Rekordzeit ist Patrick wieder voll leistungsfähig und emotional genügend stabil, so dass er mit einer IV-gestützten Umschulung zum Fahrradmechaniker EFZ belohnt wird. Trotz weiterer Turbulenzen, welche aber wesentlich seltener und schwächer sind – so auch zwei Lehrbetriebswechseln innerhalb von einem Jahr –, liefert er top Leistungen in Betrieb und Schule ab. Sein Notendurchschnitt von 5.5 schenkt ihm mehr Ruhe auf die bevorstehenden Prüfungen. Der letzte Stellenwechsel wird zum unerwarteten Geschenk: Patrick eröffnet sich eine interessante Anschlusslösung für die Zeit nach der Umschulung. Optimales Teamwork von Patrick, seinem Kollegenkreis, Berater sowie besonders der Gnade und Führung des Heiligen Geistes.
Alle drei haben gemeinsam: Sie sind AD(H)S-Betroffene und waren bereit, bei sich hinzuschauen und die Ursachen ihrer Bruchlandung anzupacken. Als Belohnung für ihren Mut und Durchhaltewillen werden sie im Sommer 2023 ihre Lehre höchst wahrscheinlich erfolgreich abschliessen. Wendemanöver sind möglich mit Gottes Hilfe.
Ich weiss, dass auch solche krassen Wendemanöver möglich sind, weil ich persönlich dank unfassbarer Gnade und Führung des Heiligen Geistes ebenfalls mehrere solche Prozesse selbst durchlaufen habe. Ich erwähne nur eines davon: Ich fuhr meine langjährige Karriere als Personalchef an die Wand und stürzte ab. Gott führte mich durch eine ADHS-Diagnose und folgende Behandlung sowie zu einer neuen beruflichen Chance. Daraus entstand meine heutige Berufung als ADHS-Laufbahnberater, welche ich niemals selbst gefunden hätte.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein paar Tipps aus der Praxis erwähnen, damit Sie das Risiko von meist schmerzhaften oder energieraubenden 180-Grad-Kurswechseln reduzieren können:
Erst wenn man an der Mauer der Sackgasse oder am Abgrund steht, ist eine 180-Grad-Umkehr notwendig. Je früher eine Veränderung eingeleitet wird, umso geringer wird der Winkel (Aufwand, Schmerz).
Suchen Sie sich möglichst früh einen kompetenten Berater. Durch den frühen Zeitpunkt und die externe Sicht ergeben sich meistens mehr Möglichkeiten für eine gute Lösung.
Nehmen Sie die Zusage von Paulus in Römer 8,28 als Ihr persönliches Lebensmotto: «Das eine aber wissen wir: Wer Gott liebt, dem dient alles, was geschieht, zum Guten.» Das stärkt Ihr Gottvertrauen enorm und ermöglicht Gott, Sie zum richtigen Zeitpunkt (Kairos) auf den richtigen Weg zu führen.