Von Kurt Zaugg-Ott
Mein Leben ist ein Geschenk. Das ist eine erste Einsicht für mich als glaubender Mensch. Letztlich lebe ich, weil irgendwann die Erde entstanden ist und sich auf ihr später das Leben entwickelt hat. Und ich lebe, weil über unzählige Generationen das Leben weitergegeben und erhalten worden ist. «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will», hat der Theologe und Ethiker Albert Schweitzer formuliert. «Ehrfurcht vor dem Leben» lautet seine ethische Leitidee.
Schweitzers Ethik gibt menschlichem Leben keinen Vorzug vor dem tierischen und pflanzlichen Leben. Er weist auf ein Dilemma hin, dem wir als Geschöpfe täglich ausgesetzt sind. Um leben zu können, sind wir darauf angewiesen, anderes Leben in Form von Nahrungsmitteln in uns aufzunehmen. Ohne unsere «Umwelt» sind wir Menschen nicht überlebensfähig. Die Umwelt ist keine Zutat, auf die wir verzichten könnten. «Ohni Planet isch doof», hat die Schweizerische Energie-Stiftung eine Publikation betitelt. Tatsächlich sind wir für unser Überleben auf den Planeten Erde angewiesen, für die Luft zum Atmen, für unseren Bedarf an Wasser und Nahrung. Dazu kommt unsere Abhängigkeit von der Wärme und dem Licht der Sonne, ohne die ebenfalls kein Leben möglich wäre.
Und die biblischen Erzählungen von der Schöpfung nehmen genau diese ursprünglichen Erfahrungen auf. Sie berichten von der Erschaffung von Pflanzen, Tieren und dem Menschen in einer natürlichen Abfolge. Die Menschen sind Teil der Schöpfung und auf sie angewiesen. Und Gott ist ein Liebhaber des Lebens (Weisheit 11,26). Er freut sich an der Vielfalt der Geschöpfe und beurteilt alles als sehr gut – nicht nur die Erschaffung des Menschen. Sämtliche Geschöpfe des Universums, die von Gott erschaffen wurden, sind durch unsichtbare Bande verbunden und bildeneine Art universale Familie, meint Papst Franziskus in der Enzyklika Laudato Si’ (89).
Diese Art der Verbundenheit suche ich, meditiere ich, wenn ich in der Natur unterwegs bin, wenn ich mir bewusstwerde, dass ich lebe und atme. Für die Aktion «Schöpfungs-Zeit» hat die oeku über mehrere Jahre empfohlen, den fünf Sinnen nachzugehen, die uns Menschen mit anderen Geschöpfen verbinden. Abgesehen von der Beschäftigung mit der biblischen Botschaft kann auch das Nachdenken über die Natur und das Erleben der Natur uns dazu bringen, hinter unserer Existenz mehr als Zufall und Willkür zu entdecken.
Und unser eigenes Handeln für Menschen und Mitgeschöpfe bekommt erst dann seinen Sinn, wenn es dem Ziel dient, Gottes «Projekt des Lebens» weiterzuschreiben. Papst Franziskus hat recht, wenn er es als tragisches Scheitern unserer Bestimmung als Menschen sieht, wenn wir es nicht schaffen, den künftigen Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Der Einsatz für Nachhaltigkeit, für den Erhalt eines lebensfreundlichen Klimas gehört wie selbstverständlich zum Leben glaubender Menschen. Denn Schöpfung und auch Erlösung sind ein Ganzes und betreffen nicht nur uns Menschen. Wie langweilig wäre Gottes Zukunft ohne die Vielfalt der Pflanzen, der Lebewesen und der Menschen. Nehmen wir unser Leben als Geschenk und setzen es für die Zukunft des Lebens ein – in unserem gemeinsamen Haus, dem Planeten Erde.